2021-09-26

Gefahr einer vernachlässigten Familie (1)

Ich weiß nicht, warum ich mich daran so gut erinne­re, aber ich tue es: Vor vierundzwanzig Jahren hatte ich Sommerferien vom Seminar. Ich lief mit einem Freund vom Gelände der UCLA (University of California, Los Angeles) zum Sizzler Steak House in Westwood. Während wir gingen, stellte er mir eine Frage.

„Steve, wovor hast du am meisten Angst, wenn du daran denkst, in den Predigtdienst zu gehen?“ Ich zögerte nicht mit meiner Antwort. „Erfolgreich in meinem Dienst zu sein und dabei meine Familie zu verlieren.“ Zum dama­ligen Zeitpunkt war ich nicht verheiratet und hatte keine Kinder. Aber schon als Junggeselle war mir klar, dass ich sie, wenn ich sie denn hätte, nicht durch eine Hinterlist verlieren wollte. Warum war ich so besorgt - und dann auch noch in diesem Stadium meines Lebens? Ich war besorgt, weil jeder Pastor, den ich bis dato kannte - au­ßer ein einziger -, mit ansehen musste, wie seine Kinder ihren Glauben aufgaben, sobald sie aus dem Haus wa­ren. Ich bin in der Welt des evangelikalen Christentums aufgewachsen und sehr dankbar für diese Herkunft. Von Geburt an mit einer Einstellung aufzuwachsen, in der Jesus Christus und die Heilige Schrift im Mittelpunkt jedes Lebensbereiches stehen, ist ein unglaubliches Vorrecht. Einen kleinen Kritikpunkt habe ich allerdings in Bezug auf das evangelikale Christentum, und das ist die­ser: Wir neigen manchmal dazu, Geistlichkeit mit Schräg­heit zu verwechseln. Je sonderbarer das Verhalten, desto „geistlicher“ muss es sein.

C. T. Studd ist ein hoch angesehener Name in unserem christlichen Erbe. Zu seiner Zeit war Studd der berühm­teste Cricket-Spieler in ganz England. Er stammte aus einer ungeheuer wohlhabenden Familie, verschenkte aber sein gesamtes Erbe und ging anschließend in die Missionsarbeit. Er diente für einige Jahre in China und kehrte dann nach England zurück. Etliche Jahre später fühlte er sich berufen, nach Afrika zu gehen. Und er ging. Alleine.

C. T. Studd sah seine Frau die nächsten siebzehn Jahre nicht wieder. Siebzehn Jahre. Kannst du dir das vorstel­len? Es tut mir leid, aber das ist absurd. Das ist nicht geist­lich, sondern verrückt. Besonders in Anbetracht dessen, was Paulus in 1. Korinther 9,5 deutlich macht - nämlich, dass die Apostel, die verheiratet waren, ihre Frauen mit­nahmen, wenn sie dienten: „Haben wir etwa nicht das Recht, eine Schwester als Frau mit uns zu führen, wie auch die übrigen Apostel und die Brüder des Herrn und Kephas [Petrus]?“ Wenn die Apostel ihre Frauen mitnah­men, die Brüder Jesu ihre Frauen mitnahmen und Petrus seine Frau mitnahm, wie kommt es dann, dass der alte Studd seine Frau nicht mitnahm? War er geistlicher als die Apostel? War er sogar weiter als Petrus? Sollte er als Vorbild für den Rest von uns hochgehalten werden, so dass wir ihm nacheifern? Für mich klingt das Ganze eher nach der lauernden Gefahr, die von einer vernachlässig­ten Familie ausgeht.

Ich liebe meine Frau. Ich bin gerne mit ihr zusammen. Sie hat, was mir fehlt, sie ist klug und ich genieße es, mit ihr gemeinsam auszugehen. Ich gehe mit meiner Frau ger­ne zu Chili's und esse dort Pommes mit scharfer Sauce. Ich habe kein Interesse daran, meine Frau siebzehn Jahre lang nicht zu sehen. Ach, was sage ich ..., ich habe nicht einmal Interesse daran, meine Frau siebzehn Tage lang nicht zu sehen.

William Carey verließ England im Jahr 1793, um nach Indien zu gehen und dort das Evangelium zu predi­gen. Er nahm seine Frau mit. Adoniram Judson ging 1814 von Amerika nach Burma. Er nahm seine Frau mit. Robert Morrison war der erste protestantische Missi­onar, der nach China ging. Auch er nahm seine Frau mit. Diese Männer kannten die Gefahren, denen sie ausge­setzt waren. Sie wussten, dass es Mangelernährung, schlechte Lebensmittel und nur eine minimale medizi­nische Versorgung geben würde. Jeder von ihnen verlor Familienmitglieder auf dem Missionsfeld. Aber es ist bes­ser, sich den Widrigkeiten gemeinsam als Familie zu stel­len, als einander durch ein verzerrtes Verständnis über die Ansprüche Christi an die eigene Familie zu vernach­lässigen. (Quelle: Komm und Sieh / Daniel Verlag)

S.F.


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