2020-12-01

Golgatha (25) – Bei einem Reichen ist er gewesen in seinem Tod

„Als es aber Abend geworden war, kam ein reicher Mann von Arimathäa, mit Namen Josef, der selbst auch ein Jünger Jesu war. Dieser ging hin zu Pilatus und bat um den Leib Jesu. Da befahl Pilatus, den Leib zu übergeben. Und Josef nahm den Leib und wickelte ihn in ein reines Leinentuch und legte ihn in seine neue Gruft, die er in den Felsen ausgehauen hatte; und er wälzte einen großen Stein an die Tür der Gruft und ging weg.“ (Mt 27,57-60)

Inzwischen ist es Abend geworden. Ein Mann betritt das Prätorium in Jerusalem. Sein Name ist Joseph. Er kommt aus Arimathia, einer Stadt der Juden. Joseph ist ein reicher Mann. Und angesehen ist er! Als Ratsherr ist er Mitglied des höchsten jüdischen Gerichts, dem Synedrium. Jedes Urteil, das hier gefällt wird, ist bindend für alle Juden. Doch heute würde Joseph etwas tun, was er noch nie getan hat. Er würde sein ganzes Ansehen aufs Spiel setzen.

Mutig geht er zu Pilatus und bittet ihn um den Körper des Herrn. Pilatus wundert sich, dass Jesus schon gestorben ist. Er lässt seinen Hauptmann kommen und fragt nach. Joseph wartet. Der Hauptmann bestätigt den Tod des Herrn. Er hatte ja genau gegenübergestanden, als Jesus schrie und starb (Mk.15,39). Damit hatte sich das ungerechte Urteil, dass Pilatus gefällt hatte, unabwendbar vollzogen. Er hatte aus egoistischen Gründen für den Tod eines unschuldigen Menschen gesorgt. Seine Reaktion lässt keine Gewissensbisse erkennen. Großmütig schenkt er Joseph den Körper des Herrn. So, als sei er sein Besitz. Damit war der Fall für ihn erledigt.

Joseph verlässt das Gebäude und geht durch die Straßen Jerusalems. Er kauft feines Leinentuch. Dann macht er sich auf den Weg nach Golgatha, das Leinentuch unter seinem Arm. Heute, an diesem Freitag, würden die Menschen sehen können, dass er diesen verachteten Jesus liebte. Joseph ist ein Jünger des Herrn, aber ein verborgener. Niemand weiß, was er wirklich empfindet, was er wirklich über den Heiland denkt. Zwar hatte er im Synedrium, als es darum ging, Jesus zu töten, nicht eingewilligt, aber er hatte sich auch nicht vor allen Menschen als sein Jünger zu Ihm bekannt. Das sollte heute Abend anders werden.

Auf Golgatha angekommen, tritt er an das Kreuz des Herrn. Dann macht er sich an die Arbeit. Der Körper des Herrn muss vom Kreuz genommen werden. Er soll würdevoll bestattet werden und nicht auf dem Friedhof, wo üblicherweise die Verbrecher, die Gottlosen bestattet wurden (Jes.53,9). Was für ein Bild. Dieser reiche, gut gekleidete Mann macht sich an dem Kreuz zu schaffen. Er zieht die Nägel aus dem Holz und nimmt den leblosen Körper des Herrn vom Kreuz. Vor den Augen der Menschen, die jetzt noch dort waren.

Nikodemus kommt dazu. Auch er hatte sich bis heute nicht auf die Seite von Jesus dem Nazarener gestellt. Als er einmal eine Frage hatte, hat er den Herrn im Dunkeln aufgesucht (Joh.3), in der Nacht. Er war Pharisäer, ein Oberster der Juden und wollte nicht entdeckt werden. Später hat er dann einmal einen zaghaften Versuch unternommen, sich für den Herrn einzusetzen (Joh.7). Damals war er noch „einer von ihnen“ gewesen (Vers 50). Aber auch bei ihm soll das heute anders werden! Er bringt eine Mischung aus Myrrhe und Aloe mit. 100 Pfund! Das sind 33 Kilogramm.

Gemeinsam wickeln sie den Herrn in das reine, feine Leinentuch. Zusammen mit den Gewürzsalben, so, wie es bei den Juden üblich war. Es kümmert sie nicht, was die anderen denken, was in den nächsten Tagen über sie erzählt würde. Ihre Herzen gehören diesem Mann von Golgatha. Jeder darf es wissen!

In der Nähe Golgathas ist ein Garten. Joseph hatte sich dort eine Gruft aushauen lassen. Gemeinsam tragen sie den Körper des Herrn dorthin und legen ihn in die Gruft. Hier hatte noch nie jemand gelegen. Die Frauen, die am Kreuz aus der Ferne zusahen, sind dabei und verfolgen die Grablegung. Dann rollt Josef einen schweren Stein davor…

Hier endet die Beschreibung dieser letzten Szene von Golgatha. In allen vier Evangelien ist sie zu lesen (Mt.27,57-61 | Mk.15,42-47 | Lk.23,50-55 | Joh.19,38-42). So sehr schätzt Gott, was diese Männer getan haben. Joseph, dieser gute und gerechte Mann, und Nikodemus. Durch ihre Arbeit erfüllt sich erneut ein prophetisches Wort: „Man hat sein Grab bei Gottlosen bestimmt; aber bei einem Reichen ist er gewesen in seinem Tod“ (Jes. 53,9). Gott wacht über den Körper Seines Sohnes. Kein Ungläubiger hat ihn nach Seinem Tod berührt. Angemessen wird Er bestattet. Bei einem Reichen! „Weil er kein Unrecht begangen hat und kein Trug in seinem Mund gewesen ist.“ (Jes.53,9).

Ich frage mich, was Joseph und Nikodemus bewegt hat, aus dem Schatten zu treten. Vor den Augen ihrer Berufskollegen, den Führern des Volkes, die Fassade fallen zu lassen. Diesen Seitenwechsel vorzunehmen und durch ihre Tat zu dokumentieren: Diesen Jesus, den ihr hasst und umgebracht habt, lieben wir! Wir gehören nicht mehr zu euch! Die Antwort auf diese Frage ist nicht schwer. Sie waren auf Golgatha! Sie haben gesehen, was dort geschehen ist. Haben beobachtet, in was für einer einmaligen Weise der Heiland dort gelitten hat. Auf der einen Seite die nicht zu überbietende Bosheit der Menschen und die unglaublichen Qualen. Auf der anderen Seite die Willigkeit und Hingabe des Heilands. Seine Liebe zu den Menschen. Die Freundlichkeit Seiner Worte. Sein einzigartiger Blick.

Nach diesem Tag war alles anders. Golgatha hatte sie verändert.

A.S.


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