2024-06-04

Müde geworden?

„Ich schlief, aber mein Herz wachte.“ (Hohelied 5,2)

Die Braut hatte keine Recht zu schlafen, denn ihr Bräutigam ruhte nicht. Er stand draußen auf der kalten Straße, das Haupt voll Tau, die Locken voller Nachttropfen - warum wollte sie da ruhen? Er war so um sie besorgt und suchte sie, wie konnte sie so grausam sein, sich dem Schlummer hinzugeben?

Es ist unschicklich für jeden unter uns, gleichgültig zu sein, wenn wir bekannt haben, dem Bräutigam entgegenzugehen; und es ist schmachvoll für uns zu schlafen, weil Er ein wenig verzieht. Die da schlafen, schlafen des Nachts. Da für uns die Nacht vergangen ist, so ist es höchst ungeziemend, dass wir uns auf dem Lager der Trägheit herumwälzen.

Es scheint mir, dass es für den Christen keine unpassendere Zeit zum Schlafen gibt als die jetzige; denn die Welt ist voll Gottlosigkeit und Aberglauben. Jeder, der nur halb wach ist, kann sehen, wie ernstlich der Feind bemüht ist, Unkraut zwischen den Weizen zu säen.

Können die Wächter Zions auf ihren Wachtürmen schlafen, während der Feind ihre Bollwerke unterminiert? Können die Hirten schlafen, während der Wolf in die Herde eingebrochen ist? Soweit es unsere Herzen betrifft, haben wir keine Veranlassung zu schlafen; denn unsere täglichen Sorgen erfordern Wachsamkeit.

Die Versuchungen um uns her machen es erforderlich, dass wir mit umgürteten Lenden dastehen. Wenn wir schlafen müssen, so mag es in einer weniger gefährlichen Lage sein und nicht in diesen feindlichen Ländern, durch die wir heute ziehen.

Jenseits des Jordans, wo wir unsere Schwerter mit der gut gestimmten Harfe vertauschen werden, wird es noch genug Ruhe geben. Aber jetzt sorglos sein heißt, mitten im blutigen Kampf zu schlafen, heißt, am Rand des Abgrundes zu träumen und im Rachen des Todes zu spielen.

Möge uns des Meisters Stimme von unserem Lager aufwecken; denn er ruft laut: „Was ich aber euch sage, das sage ich allen: Wacht!“

C.H.S.


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