Wunden an der Seele
„Und er trat hinzu und verband seine Wunden.“ (Lukas 10,34)
Wir leben in einer Zeit, in der sich die Masse der Menschen vornehmlich um sich selbst dreht. Um ihre eigenen Ziele, ihre Gefühle, ihr Wohlergehen und Vorankommen. Paulus beschreibt die Menschen sehr treffend mit folgenden Attributen: „Denn die Menschen werden selbstsüchtig sein, geldliebend … ohne natürliche Liebe … unenthaltsam … mehr das Vergnügen liebend als Gott“ (2. Tim 3,2-5).
Man benutzt andere Menschen häufig nur noch, um seinem eigenen Ego zu dienen. Aufrichtiges Interesse - Fehlanzeige. Die Loyalität dem Arbeitgeber gegenüber schwindet, denn häufig zählt nur noch, wie viel er bezahlt. Zahlt er zu wenig, wechselt man die Stelle. In Ehen und Partnerschaften haben Treue und Hingabe erschreckend an Wert verloren.
Im Vordergrund steht nicht vorrangig das Wohl des Partners, sondern der eigene Spaß. Ist hier das Ende der Fahnenstange erreicht, wechselt man den Partner und das Spiel beginnt von vorne. Menschen driften mehr und mehr in die Isolation ab und bleiben mit ihren Enttäuschungen, seelischen Wunden und ihrer Sündenlast schließlich allein zurück. Es interessiert sich kaum jemand für ihre Not, da sich jeder nur um sich selbst dreht.
Für uns stellt sich nun folgende Frage: Sind wir bereit, uns vom Herrn in sein Bild verwandeln zu lassen? Gleichen wir unserem Herrn Jesus, dem barmherzigen Samariter, der den Verletzten sah und innerlich bewegt auf ihn zuging? Diese Haltung erfordert Selbstaufopferung und aufrichtiges Interesse für unsere Mitmenschen.
Wenn wir uns darauf einlassen und eine solche Haltung in unsere Praxis integrieren, werden wir eine wundersame Entdeckung machen. Die Menschen merken, dass wir uns für sie interessieren, und öffnen sich sehr schnell. Dann bekommen wir die Wunden zu Gesicht. Viele Wunden. Schlimme Wunden.
Mit dieser Situation müssen wir klarkommen, was teilweise nicht einfach ist. Würden wir uns freuen, wenn wir als Ersthelfer an einen Unfallort kommen? Sind wir nicht froh, wenn wir eine solche Situation umgehen können? Hier schreit einer, da drüben liegt jemand in seiner eigenen Blutlache und einem anderen fehlt ein Arm.
Das würde die meisten von uns sicher total überfordern, nicht wahr? Aber so ähnlich können wir uns die Situation im Evangelium auch vorstellen. Wir sind ständig an seelischen Unfallorten unterwegs. Wir sehen viele Wunden, und mit diesem Anblick gilt es nun richtig umzugehen.
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