2020-06-30

Der Schmerz der Nachfolge

„Und die Kühe gingen …, im Gehen brüllend.“ (1. Samuel 6,12).

Warum brüllten die Kühe? Ihre Euter waren prallvoll von Milch. Die Haut spannte, vielleicht hatten sich sogar die Zitzen schon entzündet. Außerdem zog sie der Mutterinstinkt mit Macht zurück zu den Kälbern im Stall, während die unsichtbare Hand Gottes in ihrem Nasenring sie in die entgegengesetzte Richtung nach Beth-Semes zog. Die Kühe der Philister brüllten im Schmerz der Zerrissenheit.

Diener(innen) Gottes sind oft zerrissene Menschen. Zum einen zieht es sie zu ihren Pflichten in dieser Welt, zum anderen zieht das Reich der Himmel sie in den Dienst für Gott. Wenn das Wort „Interessenkonflikt“ berechtigt ist, dann nirgendwo mehr als im Leben eines Gläubigen. Christen stehen immer in der Spannung, sich den Notwendigkeiten einer vergehenden, oder den Herrlichkeiten einer kommenden Welt zu widmen.

Es zerriss Abrahams Herz, als die Liebe zu Gott der Liebe zu seinem Sohn entgegenwirkte, in dem Moment, wo er Isaak opfern sollte. Es zerriss Jesaja, gleichzeitig die Heiligkeit Gottes schauen zu dürfen und auf der anderen Seite tagtäglich den Götzendienst Israels mit ansehen zu müssen. Paulus hätte wohl Lust gehabt abzuleben und bei seinem Herrn zu sein, blieb aber um der Gemeinden willen auch gerne auf dieser Erde.

Es zerreißt den jungen Familienvater, wenn er seinen Kindern keine „Gute-Nacht“-Geschichte vorlesen kann, weil er um 20 Uhr den evangelistischen Hauskreis leiten wird. Es zerreißt die gläubige Ehefrau, wenn sie sich Sonntagmorgens von ihrem ungläubigen Ehemann verabschieden muss, weil sie zum Gottesdienst gehen will. Es zerreißt uns, unseren heranwachsenden Kindern finanziell und wissensmäßig so wenig bieten zu können, weil wir unser Leben dem Evangelium gewidmet haben.

Je älter wir werden, desto schlimmer wird es. Viele Menschen kehren alternd gerne zu ihren Wurzeln in der Jugend zurück. Verwandtschaft wird wieder wichtig. Klassen- und Jahrgangstreffen werden wieder interessant. Nicht die jungen Kühe schreien nach den alten, sondern die alten nach den jungen. Es braucht deshalb für den alternden Diener Gottes eine doppelte Kraft, den Karren des Evangeliums weiter zu ziehen.

Ich hörte von der Geschichte eines rumänischen Pastors. Dessen Treue zu Gott konnte von der Diktatur Ceausescus (1965-1989 an der Macht) nicht gebrochen werden. Der Geheimdienst stellte ihn deshalb vor eine grausame Wahl: Entweder er würde dem Glauben abschwören, oder er müsse mit ansehen, wie seine Tochter bei lebendigem Leibe begraben würde. Seine Tochter beschwor ihn aus dem Erdloch, in dem sie lag, dem Gott der Herrlichkeit treu zu bleiben.

Vielleicht werden wir nicht so drastisch auf die Probe gestellt wie unsere rumänischen Geschwister. Aber die Spannung zwischen vergehender Welt und kommendem Reich Gottes erleben wir immer als schmerzhaft. Der Teufel zerrt an den Nerven der Heiligen, wie der Hund an der Leine seines Besitzers.

Unser Herz ist ein verborgenes Schlachtfeld der einander widerstrebenden Gedanken. Wir sind schizophren (gespaltenen Geistes) im besten Sinne des Wortes. Mit dieser Realität müssen wir leben lernen.

C.G.


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