2020-03-23

Innerlich bewegt (2)

„Und Jesus zog umher durch alle Städte und Dörfer, lehrte in ihren Synagogen und predigte das Evangelium des Reiches und heilte jede Krankheit und jedes Gebrechen. Als er aber die Volksmengen sah, wurde er innerlich bewegt über sie, weil sie erschöpft und hingestreckt waren wie Schafe, die keinen Hirten haben. Dann spricht er zu seinen Jüngern: Die Ernte zwar ist groß, die Arbeiter aber sind wenige. Bittet nun den Herrn der Ernte, dass er Arbeiter in seine Ernte aussende“ (Mt 9,35-38).

So war es. Und wie ist es heute?

Ach, die Liebe ist im Lauf der Jahre erkaltet. Was sich einst unter der kraftvollen Leitung des Heiligen Geistes so herrlich entwickelt hat, ist mit der Zeit bei vielen zur Form geworden. Darum weinen wir heute nicht allein um den Verfall der Gemeinde, der Ekklesia, sondern auch um das Dahinschwinden eines Zeugnisses, das Gott nach Seiner Vorsehung und göttlichen Führung der Versammlung (Gemeinde) in den letzten Tagen geschenkt hat.

Was ist nun zu tun?

Vor allem gilt es zu erkennen, dass durch unsere Untreue so viel verlorengegangen ist. Ernste Buße und Demütigung ist am Platze. Dann aber sollten wir anhaltend Gott um die rechte Herzensstellung den Menschen gegenüber bitten, um ein wahres „Innerlich-Bewegtsein“.

Die Brüder, die sich im Anfang in kindlicher Einfalt abgesondert haben, um ein Zeugnis für ihres Herrn Wort und Namen zu sein, sind später hochmütig geworden. Damit fand dann bei manchen die Auffassung Eingang, als ob sie lediglich dazu berufen wären, von besonderen Wahrheiten zu zeugen, die der Herr ihnen anvertraut hatte, während z. B. die Verkündigung des Evangeliums anderen Christen überlassen blieb.

Dass diese Auffassung nicht richtig ist, ist den meisten von uns sicherlich ohne Weiteres klar. Welch eine besondere Aufgabe hat doch der Apostel Paulus gehabt, indem er als Verwalter Gottes dazu bestellt war, die Wahrheit betreffs der Versammlung zu verkündigen! Aber war er dabei nicht zugleich auch ein unermüdlicher Diener des Evangeliums (vgl. Kol 1,23-25)? Hat dieser große Mann neben seinen Bemühungen, die Wahrheit auszubreiten, nicht sein Leben in den Dienst des Evangeliums gestellt? Juden und Heiden gegenüber betrachtete er sich als Schuldner und wies sie unermüdlich auf Christus hin. Seinem Timotheus, den er aufgefordert hatte, das ihm anvertraute schöne Gut der Wahrheit zu bewahren, sagt er noch kurz vor seinem Heimgang: „Tu das Werk eines   E v a n g e l i s t e n ! “   (2. Tim 4,5; vgl. auch Phil 1,27).

Was lesen wir von dem Herrn Jesus selbst? Nachdem die Führer des Volkes Israel Ihn schon zu Beginn Seines Dienstes verworfen hatten und infolgedessen für das Volk der Juden keine Hoffnung mehr war, zog Jesus in allen Städten und Dörfern umher, lehrte in ihren Synagogen, predigte das Evangelium des Reiches und heilte jede Krankheit und jedes Gebrechen. Er sah die großen Scharen in ihrem Elend und Mangel, wie sie ermattet, hungrig und zerstreut waren wie Schafe, die keinen Hirten haben. Innerlich bewegt, scheute Er keine Mühe. Wo man Ihn nur hören wollte, auf den Plätzen oder in den zum Gottesdienst bestimmten öffentlichen Häusern, lehrte Er.

Großen Volksmengen wie einzelnen Personen verkündigte Er die gute Botschaft, auf der Straße und in den Häusern. Ja, Er ermunterte sogar die Jünger - obwohl Er selbst im Begriff stand, die Arbeiter auszusenden -, den Herrn der Ernte zu bitten, Arbeiter auszusenden in Seine Ernte, weil ihrer so wenige waren. Mochte auch bei den   Führern alle Mühe umsonst sein, unter den Volksmengen war die Arbeit nicht vergebens gewesen und würde nicht vergebens sein. Welch ein Grund für Ihn, die mühsame Arbeit fortzusetzen! Sieh da, unser Vorbild, Vorbild für alle, Vorbild für jeden einzelnen!

Mögen auch die Tage böse sein, mag die Verwirrung auf geistlichem Gebiet zunehmen, solang das Wort gilt: „Ich habe  eine geöffnete Tür vor dir gegeben“, solang ist auch noch Hoffnung. Die Kraft der ersten Zeit der Christenheit ist freilich nicht mehr vorhanden. Christus aber, der gestern und heute und in Ewigkeit derselbe ist, ist geblieben. Wenn alles vergeht, Er bleibt (vgl. Heb 1,11.12). Er ist auch heute noch der Heilige und Wahrhaftige, der öffnet, und niemand wird schließen. Wenn wir nur das Gefühl der eigenen großen Schwachheit haben! Wenn wir nur treu sind und in Bruderliebe unseren Weg gehen!

Der Herr Jesus war innerlich bewegt, als Er die vielen Schwachen, Kranken und Unglücklichen in Israel sah (Mt 14,14; 20,34). Er war innerlich bewegt, als eine große Volksmenge drei Tage bei Ihm weilte und nichts zu essen hatte (Mt 15,32). Aber vor allem war Er innerlich bewegt angesichts des tieftraurigen Zustandes, in dem Israel sich in geistlicher Hinsicht befand. Da weinte Er (Lk 19,41).

Worin können wir unserem Herrn und Meister folgen? Nicht darin, dass wir zunächst ein Auge haben für die große Ernte, dann aber, wenn wir sehen, dass so wenig Arbeiter da sind, um die Ernte hereinzuholen, die entsprechenden Folgerungen aus dieser Wahrnehmung ziehen?

Eile tut not, wenn die Felder reif sind. In der Erntezeit stehen die Leute sehr früh auf! Dann arbeiten sie den ganzen langen Tag und sind dankbar für jede Hilfe. Nun, wie in den Tagen des Herrn, so sind auch heute die Felder weiß zur Ernte. Jahrelang ist gepflügt und gesät worden. Wo sind heute die Menschen, die bereit sind, die Ernte einzuholen? Viele Arbeiter sind abgerufen worden.

Ach, wie wenig fühlen wir in unseren Tagen die eigene Verantwortlichkeit im Blick auf die Ernte! Arbeiter heranziehen und aussenden können wir freilich nicht. Aber wir können beten, können flehen um mehr, um neue Arbeiter. Wir können eindringlich und anhaltend zum Herrn der Ernte rufen, dass Er geeignete Menschen losmachen und sie aussenden möge in Seine Ernte (vgl. Mt 9,37.38).

Wir können unserem Herrn auch darin folgen, dass wir uns Ihm voll und ganz zur Verfügung stellen, wenn Er zu uns sagt: Gehe hin! Warum begeben sich nicht mehr junge Leute in Seinen Dienst? Der Heiland hat doch gesagt: „Geht hin in die ganze Welt und predigt der ganzen Schöpfung das Evangelium!“.

Der Herr kann Ältere und Alte brauchen, aber Er fordert auch die Kraft der Jüngeren. Auch von solchen wünscht Er, dass sie Ihm und Seinem Dienst ein ganzes langes Leben weihen. Wo sind aber die, die auf den Ruf des Herrn antworten: Hier bin ich; sende mich!? Ach, wie sind da der Gründe so viele, die gegen eine frohe, entschiedene Antwort sprechen! Wovon sollen wir leben? Aber das Wort gilt auch heute noch: Der Arbeiter ist seines Lohnes wert. Der Herr wird sorgen.

J.N.V.


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