Noch keine Frucht? (1)
„Es sprach aber der Weingärtner: Siehe, seit drei Jahren komme ich und suche Frucht an diesem Feigenbaum und finde keine; hau ihn ab, wozu macht er auch das Land unnütz?“ (Lukas 13,7)
Der Weingärtner hatte die Unfruchtbarkeit des Feigenbaums nicht zum erstenmal festgestellt, und auch der Herr des Weinbergs war nicht zum erstenmal gekommen, Feigen zu suchen. Gott, der uns „noch dieses Jahr“ gibt, hat uns vorher schon andere gegeben. Seine verschonende Langmut ist darum nichts Neues; Seine Geduld ist schon früher auf die Probe gestellt worden.
Zuerst kamen unsere Jugendjahre, eine Zeit, in der wir Früchte bringen können, über die sich Gott besonders freut. Wie haben wir unsere Jugendjahre verlebt? Ist unsere Kraft in wildes Holz und in üppige Zweige geschossen? Wenn das der Fall ist, haben wir Ursache, es tief zu beklagen, dass wir unsere besten Kräfte verschwendet haben.
Unseren Jugendjahren folgen die Jahre des frühen Mannesalters, in denen wir anfangen, eine Familie zu gründen, und einem Baum gleichen, der feste Wurzeln schlägt. Auch in dieser Zeit ist Frucht etwas sehr Köstliches. Haben wir solche getragen? Haben wir Gott die Erstlinge unserer Kraft geweiht?
Wenn wir es nicht getan haben, so möge uns die Vergangenheit strafen und mit aufgehobenem Finger davor warnen, auch „noch dieses Jahr“ ebenso zu verleben wie die vorigen. Wer seine Jugend und das Mannesalter verschwendet hat, der hat sicherlich genügend Torheiten begangen.
Es ist dann mehr als genug, dass er die vergangene Zeit seines Lebens dem Willen des Fleisches gelebt hat, und es wäre eine überaus große Leichtfertigkeit und Schlechtigkeit, wenn er auch „noch dieses Jahr“ im Dienst der Sünde verbringen wollte.
Viele von uns befinden sich in der vollen Kraft des Lebens. Haben wir bereits den halben Weg unserer Lebensreise zurückgelegt und wissen noch nicht, wohin wir gehen? Sind wir bereits ein halbes Jahrhundert alt und noch nicht verständig geworden?
Das Fortleben in der Sünde erzeugt Unempfindlichkeit des Herzens; und wenn die Seele lange Zeit im Schlaf der Gleichgültigkeit gelegen hat, ist es sehr schwer, sie aus diesem tödlichen Schlummer aufzuwecken.
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