2019-02-27

Ein beeindruckender Abschiedsbrief

Hier folgt ein Brief David Brainerds an seinen leiblichen Bruder John, der Davids Missionsarbeit unter den Indianern fortsetzte, und eine letzte Tagebuch-Aufzeichnung. Der beeindruckende Brief wurde von Brainerd wenige Wochen vor seinem Tod am 9. Oktober 1747 geschrieben. Jonathan Edwards hat diesen wahrscheinlich letzten Brief Brainerds mit folgenden Worten überschrieben:

»An seinen Bruder John in Bethel, der Stadt der christlichen Indianer in New Jersey, ebenso in Boston verfasst, als er dort an der Schwelle zum Grab stand, im Sommer vor seinem Tod.«

Lieber Bruder,

ich bin nun gerade an der Schwelle zur Ewigkeit und erwarte, sehr rasch in die unsichtbare Welt zu treten. Ich fühle mich nicht mehr als Bewohner der Erde und sehne mich manchmal ernstlich, »aufzubrechen und bei Christus zu sein«.

Ich preise Gott, er hat mir vor einigen Jahren die bleibende Überzeugung gegeben, dass es für jedes vernünftige Geschöpf unmöglich ist, wahre Glückseligkeit zu erleben, ohne völlig ihm hingegeben zu sein. Unter dem Einfluss dieser Über­zeugung habe ich zu einem gewissen Maß gehandelt. Oh, hätte ich doch mehr so gehandelt! Ich erkannte sowohl die Vorzüglichkeit als auch die Notwendigkeit der Heiligkeit im Leben. Doch ich sah dies nie in solch einer Weise wie jetzt, als ich direkt an den Rand des Grabes gebracht wurde.

Oh, mein Bruder, jage der Heiligkeit nach, dränge zu die­sem gesegneten Ziel hin und lass Deine dürstende Seele fort­während sagen: »Ich werde nie gesättigt werden, bis ich er­ wache mit deinem Bild!« [...]

Und nun, mein lieber Bruder, muss ich Dich drängen, persön­licher Heiligkeit nachzujagen, so viel zu fasten und zu beten, wie es Deine Gesundheit zulässt, und über dem Durchschnitt gewöhnlicher Christen zu leben [.]

Mühe Dich, zwischen wahrer und falscher Frömmigkeit zu unterscheiden, und achte zu diesem Zweck auf die Regung des Geistes Gottes in Deinem Herzen. Richte Dich an ihn um Hilfe, und vergleiche Deine Erfahrungen unvoreingenommen mit seinem Wort. Lese von Herrn Edwards über die Gemüts­regungen, wo der Kern und die Seele der Frömmigkeit deut­lich von falschen Stimmungen unterschieden wird. Bewerte religiöse Freude anhand des Inhalts von ihr [...]

Bei wahrer geistlicher Freude freut sich die Seele über das, was Gott in sich selbst ist; Gott für seine Heiligkeit, Souveränität, Macht, Treue und all seine Vollkommenheit lobt; Gott dafür verehrt, dass er ist, was er ist; dass er unendliche Herrlich­keit und Seligkeit unveränderlich innehat. Wenn nun Men­schen so über die Vollkommenheit Gottes und über die unend­liche Vorzüglichkeit des Heilswegs durch Christus und die heiligen Gebote frohlocken, welche eine Abschrift seines hei­ligen Wesens sind, dann ist solche Freude göttlich und geist­lich. Unsere Freude wird zur Stunde des Todes bei uns sein, wenn wir dann gewiss sein können, dass wir derartig höher als das Selbst gehandelt haben und uns in selbstloser Weise, wenn ich es so sagen darf, in der Herrlichkeit des gepriesenen Gottes gefreut haben [.]

Ich fürchte, Du bist Dir nicht genügend bewusst, wie viel fal­sche Frömmigkeit es in der Welt gibt. Viele ernsthafte Christen und geschätzte Pastoren lassen sich von dieser falschen Flamme zu leicht beeindrucken. Ich fürchte ebenso, dass Dir die schreck­lichen Auswirkungen und Folgen dieser falschen Frömmigkeit nicht bewusst sind. Lass mich Dir sagen, dass dies der Teufel ist, der sich als ein Engel des Lichts verstellt. Sie ist eine Brut der Hölle, die immer bei jeder Erweckung der Frömmigkeit entsteht und die Sache Gottes erdolcht und er mordet, während sie üblicherweise mit einer großen Zahl wohl meinender Men­schen auf dem Gipfel der Frömmigkeit mitläuft. Mache Dich bereit, mein Bruder, das Erscheinen dieses Wesens unter den Indianern zu zerschmettern, und ermutige niemals zu irgend­einem Maß an Leidenschaft ohne Licht.

Ermahne meine Leute im Namen ihres sterbenden Pastors, ja, in dem Namen dessen, der tot war und nun lebt, so zu leben und zu wandeln, wie es sich für das Evangelium geziemt. Erkläre ihnen, wie groß die Erwartungen Gottes und sei­nes Volkes an sie sind und wie furchtbar sie die Sache Got­tes verwunden und auch verhängnisvolle Vorurteile bei an­deren armen Indianern wecken werden, wenn sie in Laster fallen. Betone immer, dass ihre Erlebnisse verderbt und ihre Freude trügerisch ist, selbst wenn sie in ihrer eigenen Ein­bildung durch sie in den dritten Himmel entrückt wurden, solange nicht der Haupt-Tenor ihres Lebens geistlich, wachsam und heilig ist. Indem Du auf diese Dinge Nachdruck legst, »wirst du sowohl dich selbst retten als auch die, welche auf dich hören«.

Gott weiß, ich war von Herzen bereit, ihm länger im Werk des Dienstes zu dienen, obwohl er immer noch mit all den Mühen und Nöten vergangener Jahre verbunden wäre, wenn er es für angebracht gehalten hätte, dass es so sein soll. Doch ich bin vollkommen zufrieden damit, dass sein Wille jetzt anders scheint, und kann mit größter Freimütigkeit sagen: »Der Wille des Herrn geschehe!«

Es bewegt mich, daran zu denken, Dich in einer Welt der Sünde zurückzulassen - mein Herz bemitleidet Dich, dass Dir diese Stürme und Gewitter noch bevorstehen, von denen ich, worauf ich vertraue, aus Gnade fast erlöst bin. Doch »der HERR lebt! Gepriesen sei mein Fels«. Er ist der gleiche all­mächtige Freund, und wird, darauf vertraue ich, Dein Führer und Helfer sein, wie er der meine war.

Und nun, mein lieber Bruder, »übergebe ich [Dich] Gott und dem Wort seiner Gnade, das die Kraft hat, [Dich] aufzuerbauen und ein Erbteil zu geben unter allen Geheilig­ten«. Mögest Du privat wie auch in der Öffentlichkeit Got­tes Gegenwart genießen und mögen »gelenkig [sein] die Arme [Deiner] Hände, von den Händen des Mächtigen Jakobs«! Dies sind die leidenschaftlichen Wünsche und Gebete von herzlich Deinem sterbenden Bruder,

DAVID BRAINERD.


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