Errettung durch Gesang
„Singt Gott, besingt seinen Namen! Macht Bahn dem, der einherfährt durch die Steppen, Jah ist sein Name, und frohlockt vor ihm! Ein Vater der Waisen und ein Richter der Witwen ist Gott in seiner heiligen Wohnung.“ (Ps 68,5.6)
Gladys Aylward war vor vielen Jahren als Missionarin in China aktiv. Sie hat dort großartige Dinge mit dem Herrn erlebt, wobei sie auch in Situationen gekommen ist, in denen sie nicht mehr weiter wusste. Während des Krieges musste sie mit vielen Kindern über die Berge fliehen. Es schien, als ob es keine Rettung mehr für sie und die Kinder gäbe. Doch dann ist folgendes passiert:
"Wieder wird es Nacht, und die Kinder schlafen am Ufer des Flusses. So vergehen drei Tage und drei Nächte, aber kein Fährboot lässt sich blicken. Am vierten Morgen kommt der alte Chinese noch einmal, um nach ihnen zu sehen. Er berichtet, die Japaner kämen jetzt schnell näher und würden vor dem Abend noch den Fluss erreichen. Sie bringen alle Frauen und Kinder um, die ihnen in den Weg kommen.
Nach dieser traurigen Botschaft zieht sich der alte Mann zurück und sagt zum Abschied noch zu Gladys: »Geh doch mit diesen Kindern in die Berge zurück, da seid ihr sicherer. Hier am Flussufer bleibt kein Kind am Leben.« Sualan stellt sich dicht neben sie. Das Mädchen sieht den wachsenden Zweifel in Gladys’ Augen. »Ai-Weh-Töh«, sagt sie tröstend, »weißt du noch, wie du uns abends von Mose erzählt hast, den Gott gerufen hatte, dass er mit dem Volk Israel durch das Rote Meer gehen sollte? Da ist er gegangen! Und sie kamen sicher an die andere Seite.«
Gladys blickt Sualan verblüfft und fragend an. »Mutter«, sagt das Mädchen, »glaubst du, dass das wirklich passiert ist?« »Aber Kind, meinst du, ich würde euch etwas erzählen, was ich selbst nicht glaube? Das ist geschehen. Es steht in Gottes Wort!«
»Ja, ich glaube das auch«, antwortet sie, »und damals hast du gesagt, Gott habe auch die Kraft, das bei dem Gelben Fluss zu tun. Warum gehen wir jetzt nicht durch das Wasser? Gott kann uns doch den Weg durch das Wasser freimachen.«
Sualans Worte erschrecken Gladys. »Kind, aber ich bin doch nicht Mose!«, sagt sie ängstlich.
»Nein, du bist nicht Mose; aber Gott ist doch derselbe Gott«, sagt Sualan in festem Vertrauen.
»Ja, das ist er. Gott ist noch immer derselbe mächtige Gott!«
Sualan ruft einige der ältesten Jungen und Mädchen zusammen. Sie knien mit Mutter Gladys am Flussufer nieder. Sualan bittet in einfältigem Glauben: »Herr, hier sind wir. Du siehst uns. Wir warten auf dich, wir vertrauen dir, dass du den Gelben Fluss öffnen wirst. Niemand kann uns helfen, nur du allein.«
Dann beugt sich Gladys, bis ihr Gesicht und die Hände auf dem Boden ruhen, und fleht: »O mein Gott, ich bin am Ende meiner Kraft. Ich kann nichts mehr für diese Kinder tun. Ich bin nicht würdig, dass du uns hilfst. Aber tu es doch um deinetwillen, Herr, … zur Ehre deines Namens … O Gott, hilf uns … lass uns nicht umkommen … Rette uns … zeig deine Macht … Wir sind in deiner Hand!«
Und weiter fleht sie: »Herr, rette uns doch! Dann werden die Kinder wissen, dass du allein der allmächtige Gott bist, größer als alle chinesischen Götter. Herr, rette uns … auf dich allein hoffen wir …«
Wie ein wunderschöner Gesang kommt der Text des Psalms 68 ihr in den Sinn: »Ihr Königreiche singt dem Herrn; lobsinget unserm Gott.« Ist dies die Antwort auf ihr Gebet? Mächtig erklingt es in ihrer Seele: »Lobsinget unserm Gott!«
Sie ruft die Kinder zusammen und fängt an zu singen. Einen Psalmvers nach dem anderen. Die Kleinen sind schon sehr müde, aber Gladys fordert sie auf: »Wir müssen singen, wenn wir singen, werden wir gerettet.«
Jedes Mal fängt sie an, den nächsten Vers zu singen. Sie erfasst im Glauben, dass dies ihre Rettung ist. Am Flussufer sitzt im Schilf verborgen ein chinesischer Soldat; der letzte, der an der Nordseite des Gelben Flusses Wache hält. Er muss dort aushalten, bis die ersten japanischen Soldaten kommen, dann erst darf er nach Süden übersetzen.
Der Soldat späht unablässig über das Land und in die Luft, ob der Feind kommt, und er lauscht auf das Rauschen des Flusses … dann hört er etwas … weit weg … ein wundersames Geräusch … Es ist, als sängen dort Kinder. Voller Heimweh denkt er an seine Jugendzeit, als er noch fröhlich in seiner kleinen Christengemeinde im Süden Chinas gesungen hatte. Aber hier am Gelben Fluss … singende Kinder am Gelben Fluss? Nein, das kann es nicht geben.
Weiter läuft er am Schilfrand hin und her, durchsucht den Himmel nach Flugzeugen und späht durch das Fernglas über das Land, ob der Feind schon kommt. Es ist wieder still am Fluss, ganz still! Klar, er hat sich geirrt. Und er setzt sich wieder hinter das Schilf, nahe bei seinem Boot, mit dem er flüchten will. Er denkt an seine Jugendzeit, und dann ist der Klang wieder zu hören. Er lauscht gespannt.
Kommt dieser Ton von den raschelnden Riedstängeln? Können die so wundersam singen? Deutlich hört er jetzt, dass da ein Psalm gesungen wird, und es sind Kinderstimmen. »Träume ich …? Singende Kinder am Gelben Fluss …? Das ist doch unmöglich!«
Der Soldat rennt am Ufer entlang, dem Klang entgegen, der immer deutlicher wird. Einige Sekunden ist es still, dann ertönt er wieder. Nach einer kurzen Strecke bleibt er plötzlich stehen. Träumt er? Bei einer Bucht des Flusses sieht er eine Gruppe von Kindern auf der Erde sitzen, und eine Frau sitzt dazwischen.
Er läuft auf die Gruppe zu und hört die Kinder alle auf einmal schreien: »Ein Soldat … Mutter, ein Soldat!« Mitten in der Gruppe sitzt Gladys. Sofort erkennt sie, dass es ein chinesischer Soldat und kein Feind ist.
»Ich hörte die Kinder singen«, sagt er, »was tut ihr hier?«
»Wir sind auf der Flucht und müssen über den Fluss«, antwortet Gladys, »aber es sind keine Boote mehr da.«
»Wie lange seid ihr schon hier?«
»Beinahe vier Tage«, sagt sie. Sprachlos sieht der Soldat sie an.
»Vier Tage bist du mit hundert Kindern hier am Ufer und wartest auf Rettung?«
»Wir kommen aus Yangcheng und flüchten vor dem Feind.«
»Wer hat euch hierhergebracht?«
»Mehr als zwei Wochen sind wir durch das Gebirge gezogen, um hier an den Fluss zu kommen, und als wir ankamen … war es zu spät.«
»Hast du allein mit den Kindern die lange Reise gemacht?«
»Nein, ich war nicht allein, mein Gott war mit uns … Bei dem Herrn sind Auswege aus dem Tod … Er ist mächtig, uns auch jetzt zu retten.«
Der Soldat blickt Gladys ernst und bewundernd an. »Du bist eine Christin und gar keine Chinesin? Wie kommst du zu all diesen Kindern?«
»Ich bin Missionarin und habe die Verantwortung für all diese Kinder, dass sie sicher über den Fluss kommen«, antwortet sie.
»Das Singen hat euch gerettet«, sagt der Soldat. »Heute Vormittag bin ich zum letzten Mal hierhergekommen. Ich bin der einzig verbliebene Wachtposten am Fluss. Weil die Kinder gesungen haben, fand ich euch hier. Gott hat euch gerettet.«
Er nimmt gleich einige Kinder in seinem Boot mit an das Südufer. Der Fluss ist hier eineinhalb Kilometer breit; aber schon bald kommen zwei Soldaten mit einem Fährboot zurück. Die Kinder klettern froh an Bord. Sie sind ganz aufgeregt bei diesem neuen Abenteuer.
Während sie in dem Boot hinüberfahren, sagt einer der kleinen Jungen: »Ich glaube, der Herr Jesus hat gesehen, wie viele Blasen ich an den Füßen habe. Darum brauchen wir nicht wie Mose durch den Fluss zu laufen.«
»Ja … Er hat gesehen, dass wir nicht mehr laufen können, darum hat er uns ein Boot geschickt. Nun können wir sitzen und uns ausruhen «, sagt ein anderes Kind. Dreimal fährt das Boot über den Fluss, und Mutter Gladys ist die Letzte, die zur Überfahrt einsteigt. Gladys kann vor Erschöpfung nichts mehr sagen; aber in ihrem Herzen ist ein stilles Dankgebet zu Gott, der sein Versprechen erfüllte: »Beim HERRN sind Auswege aus dem Tod.«
Am Südufer steigt Gladys beruhigt aus. Sie sind nun in Sicherheit. Timotheus kommt zu ihr und fragt: »Mutter … sollten wir jetzt nicht dem Herrn danken?«
»Ja, … tu du es jetzt, Timotheus.« Etwas zaghaft bittet er die Kinder, sich hinzuknien und dem Herrn für diese große Errettung zu danken. Timotheus steht mitten zwischen den Kindern. Auch Gladys hat sich hingekniet. Die Soldaten entblößen das Haupt und lauschen tief berührt dem Gebet, das Timotheus jetzt spricht. Er hat auf diesem schrecklichen Treck gelernt, dass der Gott der Bibel der Einzige ist, der behüten und erretten kann."
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