Christlicher Kampf
Woher kommt es, dass wir als Christen so wenig unsere himmlische Stellung praktisch verwirklichen? Wir sind durch das Blut des Lammes vom Gericht und durch den Tod Christi von dieser gegenwärtigen Welt befreit, aber wir gehen nicht geistlicherweise im Glauben über den Jordan und nehmen unser himmlisches Erbe nicht in Besitz. Gewöhnlich denkt man, der Jordan sei ein Vorbild des Todes als des Endes unseres natürlichen Lebens in dieser Welt. Das ist auch in gewissem Sinn wahr. Aber wie kommt es, dass die Israeliten, als sie endlich den Jordan überschritten hatten, anfangen mussten zu kämpfen? Gewiß werden wir keinen Kampf mehr haben, sobald wir wirklich in den Himmel eingegangen sind. Die Seelen derer, die im Glauben an Christus heimgegangen sind, kämpfen nicht mehr. Sie sind da, wo es keinen Kampf und keinen Streit mehr gibt. Sie sind in der Ruhe. Sie warten auf den Auferstehungsmorgen, aber sie warten in Ruhe, nicht in Kampf.
Es ist daher im Jordan mehr vorgebildet als das Ende unseres natürlichen Lebens in dieser Welt. Wir müssen ihn als ein großes Vorbild des Todes Christi betrachten, geradeso wie das Rote Meer und das Blut des Passahlammes Vorbilder dieses Todes sind, obwohl von anderen Gesichtspunkten aus betrachtet. Das Blut des Lammes war Israels Schutz vor dem Gericht Gottes über Ägypten. Die Wasser des Roten Meeres befreiten Israel von Ägypten selbst und von aller seiner Macht. Aber sie mussten noch durch den Jordan gehen. Sie mussten ihre Fußsohle auf das Land der Verheißung setzen und dort ihren Platz trotz aller Feinde behaupten. Sie mussten jeden Fußbreit Boden in Kanaan erkämpfen.
Aber haben wir uns denn den Himmel noch zu erkämpfen? Wenn ein Christ entschläft und seine Seele hingeht, um bei Christo im Paradies zu sein, handelt es sich da noch irgendwie um Kampf? Gewiss nicht. Was aber bedeutet dann der Übergang über den Jordan und der Kampf in Kanaan selbst? Einfach dieses: Der Herr Jesus ist gestorben. Er hat diese Welt verlassen. Er ist nicht nur für unsere Sünden gestorben, sondern Er hat auch alle Bande zerrissen, die uns mit dieser Welt verknüpfen, so daß wir der Welt gestorben sind, so wie wir auch der Sünde und dem Gesetz gestorben sind. Wir haben in den Augen Gottes und nach dem Urteil des Glaubens so wenig mit dieser Welt zu tun wie ein Toter, der entseelt am Boden liegt. Wir sind berufen, uns ihrer für tot zu halten und Gott zu leben durch Christus Jesus, unseren Herrn. Wir sind also mit Christus gestorben, begraben und auferweckt. In der Kraft des neuen Lebens, das wir in der Vereinigung mit einem auferstandenen Christus besitzen, leben wir nun. Wir gehören dem Himmel an, und indem wir unsere Stellung als himmlische Menschen verwirklichen, haben wir mit den geistlichen Mächten der Bosheit in den himmlischen Örtern zu kämpfen, gerade in dem Gebiet, das uns gehört und aus dem jene Mächte noch nicht vertrieben sind.
Wenn wir uns freilich damit begnügen, nach „Menschenweise“ zu wandeln (1. Kor 3,3), als solche zu leben, die dieser Welt angehören, beim Jordan stehen zu bleiben, wenn wir uns damit begnügen, „als solche, die auf der Erde wohnen“, zu leben, wenn wir nicht nach dem uns zugehörenden himmlischen Teil und Platz streben, dann werden wir allerdings von dem in Epheser 6,12 beschriebenen Kampf nichts kennen. Dadurch, dass wir jetzt auf dieser Erde als himmlische Menschen zu leben suchen, lernen wir die Bedeutung jenes Kampfes kennen, der das Gegenbild der Kriege Israels in Kanaan ist. Wir werden nicht mehr zu kämpfen haben, wenn wir in den Himmel eingehen. Aber wenn wir auf der Erde ein himmlisches Leben zu führen wünschen, wenn wir uns als solche zu benehmen suchen, die der Welt gestorben sind und in Ihm leben, der für uns in die Fluten des Jordan hinabgestiegen ist, dann werden wir gewiss Kampf haben. Satan wird nichts unversucht lassen, um uns zu hindern, in der Kraft unseres himmlischen Lebens zu leben. Daher der Kampf. Er wird uns dahin zu bringen suchen, dass wir wie die wandeln, die eine irdische Stellung haben, als Bürger dieser Welt, die für ihre Rechte streiten, und dass wir auf diese Weise praktisch jene große christliche Grundwahrheit verleugnen, daß wir mit Christus gestorben und auferstanden sind.
Wenden wir uns für einen Augenblick zu Epheser 6, um zu sehen, wie dieser interessante Gegenstand dort von dem inspirierten Schreiber dargestellt wird. „Übrigens, Brüder, seid stark in dem Herrn und in der Macht seiner Stärke. Ziehet an die ganze Waffenrüstung Gottes, damit ihr zu bestehen vermöget wider die Listen des Teufels. Denn unser Kampf ist nicht wider Fleisch und Blut, sondern wider die Fürstentümer, wider die Gewalten, wider die Weltbeherrscher dieser Finsternis, wider die geistlichen Mächte der Bosheit in den himmlischen Örtern. Deshalb nehmet die ganze Waffenrüstung Gottes, auf dass ihr an dem bösen Tage zu widerstehen und, nachdem ihr alles ausgerichtet habt, zu stehen vermöget“ (V. 10-13). Das ist der eigentlich christliche Kampf. Es handelt sich hier nicht um einen Kampf wider Fleisch und Blut, sondern um „die Listen des Teufels“, um jene schlau gelegten Schlingen und Fallstricke, durch die er die Christen zu hindern sucht, ihre himmlische Stellung zu verwirklichen und ihr himmlisches Erbe zu genießen.
Und ach, gerade in der Führung dieses Kampfes fehlen wir so mannigfaltig! Wir ergreifen nicht gern das, wozu wir von Christus ergriffen worden sind. Viele begnügen sich damit zu wissen, dass sie durch das Blut des Lammes vor dem Gericht sichergestellt sind. Sie gehen nicht ein in die tiefe Bedeutung und den geistlichen Sinn des Roten Meeres und des Jordan. Sie wandeln nach Menschenweise, tun also gerade das, was der Apostel an den Korinthern ernst tadelte. Sie leben und handeln so, als gehörten sie noch dieser Welt an, während die Schrift uns doch lehrt und die Taufe es ausdrückt, dass wir der Welt gestorben sind, wie auch der Herr Jesus ihr gestorben ist, und dass wir durch den Glauben an die wirksame Kraft Gottes, der Ihn aus den Toten auferweckt hat, mit Ihm auferweckt sind (Kol 2,12).
Möge der Heilige Geist unsere Seelen mehr in die Wirklichkeit dieser Wahrheiten einführen können! Möge Er uns die köstlichen Früchte jenes himmlischen Landes, das in dem Herrn Jesus unser ist, so darbieten und uns durch Seine Kraft an dem inneren Menschen so stärken, dass wir mutig über den Jordan gehen und unseren Fuß auf das geistliche Kanaan setzen! Wir leben gewöhnlich weit unter unseren Vorrechten als Christen. Wir erlauben den sichtbaren Dingen, uns den Genuss der unsichtbaren zu rauben. Hätten wir doch einen stärkeren Glauben, um von alledem Besitz zu nehmen, was Gott uns in Christus aus freier Gnade gegeben hat!
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