2024-08-19

Handschuhe an! (2)

„Ebenso lasst euer Licht leuchten vor den Menschen, damit sie eure guten Werke sehen und euren Vater, der in den Himmeln ist, verherrlichen.“ (Matthäus 5,16)

In der Mittagspause saß ich auf einer Parkbank. Daneben saß ein Mann mit einer Dose Bier, eine Alkoholfahne zog an mir vorbei. Nach kurzer Zeit setzte ich mich neben ihn und wir kamen ins Gespräch. Innerhalb weniger Minuten waren wir bei ganz persönlichen Themen: kaputte Ehe, Depressionen, kein Job, Alkoholprobleme, derart Streit mit dem Sohn, dass sogar die Polizei eingreifen musste.

Im Sommerurlaub lief mir auf einem Parkplatz eine Frau über den Weg. Sie sprach mich an, trug offenbar nicht ihre eigene Kleidung, hatte eine Flasche Schnaps unter dem Arm, war stark alkoholisiert und weinte. Sie wollte nach Mannheim, und da das nicht weit war, entschlossen wir uns, sie hinzufahren.

Im Auto herrschte beklemmende Stimmung und keines unserer Kinder sagte auf der Fahrt auch nur ein Wort. Die Frau weinte fast die ganze Fahrt und es sprudelte nur so aus ihr heraus. Kurz zuvor war sie vergewaltigt worden. Ihr Vater hatte sie mit zwölf Jahren das erste Mal missbraucht, ihr Mann hatte Zigaretten auf ihr ausgedrückt, sie hatte sechs Kinder, alle vom Jugendamt in Obhut genommen …

Mühselige und Beladene haben viel zu erzählen und ihre Lebensgeschichten laden sie auch bei uns ab. Wie gut ist es, wenn wir aufrichtiges Interesse an den Menschen haben und nicht aus Neugierde ihre Geschichten hören wollen.

Die Jünger interessierten sich nicht wirklich für den Blindgeborenen, sondern wollten nur die Story dahinter wissen. Sie fragen den Herrn: „Rabbi, wer hat gesündigt, dieser oder seine Eltern?“ (Joh 9,2). Wir sind dann auch vorsichtig, ob und, wenn ja, welche Inhalte wir aus solchen Gesprächen weitersagen.

Wenn wir nun in einer solchen Situation landen, können wir natürlich nicht an Ort und Stelle alle Probleme beheben und alle Wunden heilen. Bei einem Autounfall würde man von uns auch nicht erwarten, einen abgetrennten Arm auf dem Seitenstreifen wieder anzunähen. Aber einen Druckverband anlegen, das ist möglich.

Wie das in der jeweiligen Situation aussieht, kann der Herr uns klar machen. Jemanden nach Hause fahren, ihm finanziell aushelfen oder einen Folgetermin zum Gespräch vereinbaren, sind etwa Dinge, die sich realisieren lassen. Der Fokus allen Wirkens liegt letztlich auf der Errettung eines Menschen und nicht final im Bereich der Lebenshilfe.

In solchen Situationen bieten sich jedoch gute Möglichkeiten, unser Licht leuchten zu lassen vor den Menschen, damit sie unsere guten Werke sehen und unseren Vater, der in den Himmeln ist, verherrlichen (Mt 5,16).

Wir sollen uns vor den Problemen und Wunden nicht scheuen, aber jedenfalls Handschuhe tragen. Gehen wir nah ran, aber wahren zugleich gesunde Distanz. Auch hier ist der Herr das beste Vorbild, der „Freund von Zöllnern und Sündern“ (Mt 11,19) genannt wird, weil Er auf sie zuging und ihren Lebensgeschichten lauschte - und bei aller „Erster Hilfe“ doch immer heilig blieb.

A.Sch. / C.Sb. / M.K.


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