2015-12-29

Von der Familie verstoßen, von den Behörden verfolgt | ZEIT ONLINE

Er wollte den Islam verteidigen und wurde dabei zum Christen: Unser Autor hat erlebt, welche Konsequenzen muslimischen Konvertiten in islamischen Ländern drohen.

Mein Name ist Rachid, ich bin geboren und aufgewachsen in einer konservativen islamischen Familie in Marokko. Mein Vater war der Imam des Dorfes, in dem ich viele Jahre lebte. Von der christlichen Version von Jesus Christus hörte ich das erste Mal in einem Radioprogramm. Der Beitrag provozierte mich als Muslim. Ich wollte meinen muslimischen Glauben gegen den christlichen Glauben verteidigen und begann, über vier Jahre hinweg den Anbietern des Programms zu schreiben. Es endete damit, dass sie mich überzeugten und ich Ende 1989 zum Christentum übertrat. Seitdem habe ich nicht aufgehört, mich mit Islam und Christentum zu beschäftigen.

Meine Familie erfuhr erst später von meinem neuen Glauben. Ich wurde von ihnen verstoßen und von den marokkanischen Behörden verfolgt. Unter diesem Druck musste ich nach Jahren des Kampfes mein Land verlassen. Dies ist nicht nur meine Geschichte, es ist die Geschichte von Tausenden Muslimen, die in der islamischen Welt zum Christentum konvertieren. Viele von ihnen leben sehr diskret und wenn jemand ihr Geheimnis lüften würde, verwandelte sich ihr Leben in die Hölle auf Erden.

Als ich in Marokko lebte, lernte ich dortige muslimische Konvertiten über das Radioprogramm kennen, mit dem ich jahrelang korrespondiert hatte. Wir trafen uns heimlich bei uns zu Hause.Wir schmuggelten Bibeln über Spanien ins Land, weil Bibeln in arabischer Sprache hierzulande verboten sind. Sie gelten als Werkzeuge der missionierung. Wir schlossen die Fenster, um singen und beten zu können, ohne bemerkt zu werden.

Einige von uns wurden verhaftet, andere bedroht, drangsaliert, befragt oder zu jahrelangen Gefängnisstrafen verurteilt. Tausende marokkanische Christen leben im Untergrund und fürchten Verfolgung und gesellschaftliche Ächtung. Nicht nur in Marokko leben christliche Konvertiten, sie finden sich überall in der muslimischen Welt, vor allem aber in Marokko, Algerien, Tunesien, Ägypten, Irak und Iran.

Konversion im Radio

Ich habe heute eine Call-in-Sendung im arabischsprachigen Fernsehen. Sie wird über Satellit in ganz Nahost und Nordafrika ausgestrahlt, ich nenne sie Gewagte Fragen. In der Sendung debattiere ich donnerstagnachts live mit Muslimen. Dabei bekomme ich Anrufe aus der ganzen muslimischen Welt, viele der Anrufer bezeugen ihren Übertritt live on air. Es ist eine Welle, die jedes Jahr stärker wird. Diese Konvertiten benötigen Hilfe und Menschenrechtsorganisationen, die ihre Rechte verteidigen. Einige von ihnen befinden sich im Gefängnis: Der marokkanische Konvertit Jamaa Ait Bakrim etwa sitzt seit 2005 in Haft, er ist zu 15 Jahren verurteilt worden. Mohammed Hijazi ist seit Dezember 2013 in Ägypten inhaftiert, er ist zu fünf Jahren verurteilt worden. Andere wurden getötet, wie Rana Sawareh, ein jordanisches Mädchen, das zum Christentum übergetreten war. Das sind nur einige Beispiele dafür, was Konvertiten angetan wird. Ich hatte Glück, weil ich das Land verlassen konnte. Viele haben diese Möglichkeit nicht, sie müssen im Untergrund leben oder Verfolgung ertragen.

Christen haben keine Rechte

Christen mit muslimischem Hintergrund haben keine Rechte in muslimischen Ländern. Sie dürfen weder privat noch öffentlich beten. Sie haben kein Recht auf Bibeln in arabischer Sprache, dürfen ihren Kindern keine christlichen Namen geben und werden gezwungen, im Ramadan zu fasten - essen sie im Fastenmonat in der Öffentlichkeit, werden sie verhaftet. Für Frauen ist es noch schlimmer. Wenn sie konvertieren, werden sie weiter als Muslima behandelt und dürfen deshalb auch keinen Christen heiraten. Ich habe nur ein paar der Probleme angesprochen, mit denen wir in der muslimischen Welt konfrontiert werden. Die Realität geht weit darüber hinaus.

Eigentlich müsste mein Vater mich töten

Die traditionellen Kirchen im Nahen Osten können den Konvertiten nicht helfen, denn siewerden ebenfalls verfolgt. Die koptische Kirche in Ägypten zum Beispiel darf keine vom Islam Übergetretenen aufnehmen oder Muslime taufen. Das würde als Missionierung betrachtet und Muslime zu missionieren ist nicht erlaubt. Die Kirche würde dafür angegriffen werden. Viele Konvertiten aus Ägypten schreiben mir, dass sie von beiden Seiten zurückgewiesen werden: Von der Kirche aus Angst und von der Gesellschaft, weil diese Muslime, die ihrem Glauben entsagen, als Verräter ansieht. Nach dem Gesetz der Scharia sollten sie sogar getötet werden. Mohammed sagte: "Tötet, wer seine islamische Religion aufgibt." Ich erinnere mich noch an die Kämpfe und Diskussionen mit meinem Vater. Einmal schrie er: "Was tust du uns an? Warum hast du Schande über unsere Familie gebracht?" Ich weinte, weil ich den Druck kannte, den die Gesellschaft uns auferlegte. Und ich wusste, dass die Leute mich dazu benutzten, meinen Vater zu verunglimpfen. Ich wünschte, ich hätte eine andere Wahl gehabt aber ich konnte meine Prinzipien nicht verraten, ich konnte meinem neuen Glauben nicht entsagen. Ich sagte meinem Vater an dem Tag, dass ich es satt habe und müde bin. "Was verlangt der Islam von dir zu tun", fragte ich ihn. Er antwortete: "Du weißt es."

Ich sagte, dass ich es aus seinem Mund hören wollte und er antwortete: "Laut dem Islam sollte dich töten." Ich fragte ihn, warum er es nicht tat, ich sei müde, "töte mich einfach und beende es!" Er schaute mich an, als ob er seinen Ohren nicht traute, mit Tränen in den Augen sagte er: "Du weißt, dass ich dich nicht töten kann". Ich fragte ihn warum, er antwortete: "Du bist mein Sohn, ich kann meinen Sohn nicht töten." Ich weiß nicht, wie ich damals auf die Worte kam und woher ich die Stärke nahm, sie auszusprechen, aber ich sagte: "Siehst du, du hast Herz, aber ‚Allah’, der Gott den du anbetest, hat keines!" Ich hatte Glück, dass mein Vater mich nicht umbrachte. Hätte ich in Saudi-Arabien gelebt oder in einer anderen Familie wäre ich jetzt Geschichte.

Unsichtbare Opfer

Wir brauchen die Hilfe internationaler Kirchen. Ich spreche im Namen von Tausenden Konvertiten, die in der muslimischen Welt leiden müssen. Wir benötigen die Hilfe von Christen aus aller Welt, dass sie hinter uns stehen, für uns eintreten und anprangern, was wir erleiden müssen. Viele der Konvertiten, mit denen ich spreche, fühlen sich alleingelassen. Sie stehen nicht auf der Agenda der politischen Umstürze, die sich gerade im Nahen Osten abspielen. Wir sind die unsichtbaren Opfer. Die Menschen müssen verstehen, dass wir echte Anhänger von Jesus Christus sind, von dem wir glauben, dass er auch für uns auf die Welt kam. Wir sind eins mit der Kirche. Wenn ein Teil des Körpers leidet, leidet der ganze Körper mit. Lasst uns dieses Weihnachten daran erinnern, dass, während viele Christen das Fest offen und sichtbar feiern, andere, wie die Christen mit muslimischem Hintergrund, im Geheimen singen und beten und riskieren, dafür verhaftet zu werden, dass wir dieses Fest feiern.

Unbekannt


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