2019-11-04

Die sieben Worte (2)

„Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ Welcher menschliche Verstand kann diesen Schrei verstehen oder welche menschlichen Worte könnten ihn erklären? Es ist der zentrale Ausspruch von allen sieben Aussprüchen des Herrn am Kreuz und völlig zu Recht hängt von seiner tiefen, geheimnisvollen Bedeutung die Herrlichkeit Gottes und unsere Erlösung ab. Warum verließ Gott Ihn? Der Herr selbst gibt die Antwort: „Denn du bist heilig“ (Psalm 22,4). Aber war Jesus denn nicht heilig? Doch, Er war sowohl heilig in seiner vollkommenen Menschheit als auch in seiner göttlichen Herrlichkeit; Er war dort auf dem Kreuz in Seiner eigenen Person genauso heilig wie in dem Moment, in dem Er die Engel schuf. Aber warum war Er dann verlassen? Ich gebe die Antwort selbst: Es war für mich. Er wurde zu dem gemacht, was wir waren. Sünde! Sünde ist in alle Ewigkeit unendlich abscheulich in Gottes Augen, und dort wurde Er zur Sünde gemacht, damit Gottes Liebe uns in Seiner absoluten Gerechtigkeit erreichen konnte.

Die Unveränderlichkeit von Gottes Gerechtigkeit und die Größe Seiner Liebe wurden enthüllt, als dieser Schrei in der Dunkelheit und dem Leid Golgathas ertönte. Er wurde verlassen, damit wir gerettet werden könnten. Oh, mögen wir uns immer davor hüten, oberflächlich über unsere Erlösung zu denken! Ich gebe zu, dass dieser Schrei geheimnisvoll bleibt. Kein menschlicher Kopf wird jemals diese Tiefe begreifen können. Der Vater, der Sohn und der Heilige Geist allein verstehen ihn; doch in der Ewigkeit wird dieser Schrei unsere Herzen mit Bewunderung erfüllen und das Thema unserer Lieder sein. Jesus unser Retter, der keine Sünde kannte, wurde für uns zur Sünde gemacht, damit wir Gottes Gerechtigkeit würden in Ihm.

Zum ersten Mal spricht der Herr nun von seinen körperlichen Leiden. Seine Kraft war vertrocknet wie eine Tonscherbe und seine Zunge klebte an Seinem Gaumen. Da ertönte seine Stimme „Mich dürstet.“ Antworteten nicht 10.000 Engel auf diesen Schrei, indem sie sich rüsteten, ihrem leidenden Herrn zu dienen? Brachen sie nicht durch die Menge der Feinde, die Ihn bedrängten, um Seinen fiebrigen Mund mit besserem Wasser zu erfrischen, als die Quelle Bethlehems jemals geben könnte? Nein! Auf diesen Ruf gab es keine Antwort vom Himmel. Und die Menschen? Würden sie nachgeben? Sie sahen Ihn in Seinen Todesqualen, würde am Ende Mitleid in ihren Herzen aufkommen? „Und sie gaben in meine Speise Galle, und in meinem Durst gaben sie mir Essig zu trinken.“ Nein, von den Menschen gab es keinen Beistand für Ihn. Die Antwort der Menschen auf das tiefste Bedürfnis des Herrn war Essig, das Sauerste, was die Natur hervorbringt. Aber hinter diesem Schrei steckte mehr als körperlicher Durst. Warum hing Er dort? Warum sollte Er leiden? Weil Er nach der Liebe der Menschen dürstete. Und heute kommt diese Herausforderung vor jeden von uns. Was ist unsere Antwort auf diesen Durst? Sollten wir unsere Herzen nicht ungeteilt vor Ihm ausschütten, Herzen, die durch Seine große Liebe gewonnen wurden? „Der Sohn Gottes, der mich geliebt und sich selbst für mich hingegeben hat.“ Was ist unsere Antwort? Die Welt gibt Ihm auch heute immer noch Essig. O Christen, lasst uns uns zu Seinen Füßen drängen und Ihm den reichen, reinen Wein unserer Liebe geben!

Nun tauchen wir in das Licht. Nun kommen wir zu dem großen Triumph, der sich mit den Worten „Es ist vollbracht“ durch Seine Lippen brach. Jedes Wort über Seine Leiden hatte sich erfüllt. Er musste nun noch Sein Haupt in den Tod neigen und Seine Seite musste noch durchstochen werden, aber das vorwegnehmend konnte Er schon sagen: „Es ist vollbracht.“ Wir ruhen auf einem vollbrachten Werk. Wir haben viele Gründe für einen vollkommenen Frieden im Herzen, und dieser gerade erwähnte ist nicht der kleinste davon; das Werk der Erlösung ist vollbracht worden durch den Sohn Gottes, der als Einziger dazu in der Lage war. Er hat nicht versagt. Wir genießen die völlige Erlösung. Gott ist verherrlicht, der Teufel ist besiegt, wir sind gerettet.

Sein erstes Wort war „Vater“, sein letztes ist „Vater“ und zwischen diesen Worten die Dunkelheit und der Sturm. „Vater, in deine Hände übergebe ich meinen Geist.“ Nur im Lukas-Evangelium wird von diesem Ausspruch berichtet, dem Evangelium, das uns auch von Seinen frühesten überlieferten Worten berichtet: „Wusstet ihr nicht, dass ich in dem sein muss, was meines Vaters ist?“ Diese Aufgabe war nun völlig beendet, und nicht ein kleines bisschen davon blieb unerfüllt, und in der Gelassenheit und Ruhe dieses Wissens übergab Er Seinen Geist dem Vater und beugte Sein Haupt in den Tod.

Was sollte unsere Antwort auf diese großartige, göttliche Liebe sein? Was, außer uns IHM völlig hinzugeben und, bezwungen von dieser Liebe, in Zukunft nicht mehr für uns selbst zu leben, sondern für IHN, der starb und wieder auferstand.

J.T.M.


Artikelreihe: Die sieben Worte

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