2021-12-31

Leben – verloren und bewahrt

„Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und stirbt, bleibt es allein; wenn es aber stirbt, bringt es viel Frucht. Wer sein Leben lieb hat, wird es verlieren; und wer sein Leben in dieser Welt hasst, wird es zum ewigen Leben bewahren. Wenn mir jemand dient, so folge er mir nach; und wo ich bin, da wird auch mein Diener sein. Wenn jemand mir dient, so wird der Vater ihn ehren.“ (Johannes 12,24-26)

Nur drei Verse wollen wir anschauen: Der erste zeigt uns gleichnishaft oder sinnbildlich die Tatsache und Notwendigkeit des Todes des Herrn. Der mittlere Vers zeigt uns zwei Wege, die sich infolge Seiner Ablehnung und Seines Todes vor uns öffnen, und weist uns den einzigen Weg, der zu wahrem christlichem Leben führt. Der letzte Vers zeigt uns kurz gesagt, was dieses Leben wirklich ist, was ihm vorausgehen muss und zu welchem herrlichen Ende es führt.

Unser Herr Jesus liebte, als das wahre Weizenkorn, Sein Leben nicht - jenes Leben, dass Er unter uns als Mensch in sündloser Vollkommenheit führte -, sondern legte es in den Tod, um das Auferstehungsleben aufzunehmen, das ewig sein sollte, und worin eine Vielzahl von Menschen als Frucht gefunden würde, von derselben Ordnung wie Er selbst. Diese Feststellung von Vers 24 ist die Basis für die darauf folgenden Verse.

Nun möchte ich die Aufmerksamkeit auf Johannes 12,25 lenken, eine sehr bemerkenswerte und wichtige Äußerung unseres Herrn. Von all Seinen wunderbaren Worten, die in den Evangelien aufgeschrieben sind, ist dies, soweit ich weiß, die einzige, die (mit leichten Veränderungen) nicht weniger als sechs Mal wiederholt wird. Lies die folgenden Abschnitte: Matthäus 10,39; 16,25; Markus 8,35; Lukas 9,24; 17,33. Zusammen mit Johannes 12 sind es sechs Abschnitte. Drei von diesen, das sei kurz erwähnt, sind Aufzeichnungen derselben Äußerung unmittelbar vor Seiner Verklärung. Die anderen sind Aufzeichnungen von dem, was Er an anderen und unterschiedlichen Begebenheiten sagte. Es ist also offensichtlich, dass Er dieser Wahrheit bei vier Gelegenheiten Nachdruck verleiht:

  1. bei der Berufung Seiner zwölf Junger,
  2. kurz vor Seiner Verklärung,
  3. als Er eine prophetischen Rede hielt, kurz vor dem Ende Seines Dienstes und
  4. wenige Tage vor Seinem Tod.

Jedes Wort, das Er äußerte, verdient unsere tiefste Beachtung, aber ein Wort, das Er in dieser Weise wiederholte, und das in der Schrift sechs Mal erwähnt wird, muss unser Herz besonders ansprechen, wobei wir glauben, dass alle Schrift von Gott eingegeben ist. Wir vermuten sofort, dass es mit dieser Äußerung etwas ganz Besonderes auf sich hat, und diese Vermutung bestätigt sich nach näherer Untersuchung. Diese Äußerung des Herrn ist wie ein Schlüssel, der uns das wahre und echte christliche Leben eröffnet.

„Wer sein Leben lieb hat, wird es verlieren.“ Das Wort, das hier mit Leben übersetzt ist, wird gewöhnlich mit „Seele“ übersetzt. Es bezieht sich auf das „seelische Leben“, das den Mensch in seinem natürlichen gefallenen Zustand charakterisiert. Die Seele, im Unterschied zum Geist (der der höhere Teil des Menschen ist und fähig ist, ihn in eine einsichtsvolle Verbindung mit Gott zu bringen), ist der Sitz unserer natürlichen Wünsche. Das „seelische Leben“ ist das Leben des Genusses all der Dinge, die uns naturgemäß ansprechen.

Dieses „seelische Leben“ wird ferner als „in dieser Welt“ bezeichnet. Das Wort, das hier für „Welt“ benutzt wird, ist „Kosmos“. Gottes „Kosmos“ wurde durch die Sünde in Chaos verwandelt; und seitdem war der Teufel sehr darauf bedacht, sich durch gefallene Menschen seinen eigenen „Kosmos“ zu erschaffen. Die Ergebnisse davon sehen wir. Das „Leben in dieser Welt“ ist natürlich das dieser Welt eigene Leben - das „seelische Leben“ dieses „Kosmos“. Was ist nun damit? Lieben wir es, oder hassen wir es? Sehen wir es als etwas an, an dem man teilnehmen muss, wonach man streben und was man schätzen und kultivieren sollte, oder als etwas, von dem man sich als von etwas Wertlosem abwenden sollte und was als ein willkommener Verlust erscheint, weil es uns abzieht von dem, was unendlich besser ist?

Aber ich liebe das Leben dieser Welt! Ich möchte nicht mit dieser Welt untergehen, aber ihr Leben ist sehr attraktiv. Ich werde mich bemühen, die schlechten Seiten zu vermeiden, dabei aber die angenehmen Dinge beibehalten. Spricht oder denkt jemand so? Also, wenn jemand so denkt, dann lasst ihn wissen, dass er alles verlieren wird. Der Moment wird kommen, wenn nicht ein Stückchen von dem Leben übrig bleibt. Verloren, verloren, VERLOREN, und nichts außer einer schmerzhaften Leere bleibt übrig. Was für eine Tragödie!

Aber die Tragödie muss nicht sein, denn „wer sein Leben in dieser Welt hasst, wird es zum ewigen Leben bewahren.“ Derjenige, der dem seelischen Leben dieser Welt den Rücken zukehrt, weil er sich mit dem verworfenen Christus und seinem Tod identifiziert, wird sein Leben zum ewigen Leben bewahren. Hier haben wir ein anderes Wort für „Leben“, denn das „ewige Leben“ ist etwas viel höheres. Eine Illustration dessen finden wir in Philipper 3, wo Paulus alle seine natürlichen Gaben aufzählt und dann zeigt, wie er sie um Christi willen für Verlust achtete. Christus wurde ihm so unendlich wichtig, dass er verglichen mit Christus alles andere hasste.

Christus ist immer noch der Verworfene und wir sind an dem Ort Seines Todes als seine Nachfolger zurückgelassen. Verbringen wir unsere Tage damit, dem Leben nachzujagen, das wir am Ende sicher verlieren werden, oder ergreifen wir das Leben, das bleibt und das allein wirkliches Leben ist? Gott gebe uns Gnade diese Frage richtig zu beantworten.

Und was ist dieses Leben, dieses wirkliche Leben? Kurz gesagt ist es ein Leben des Dienstes. Der nächste Vers beginnt: „Wenn MIR jemand dient“. Das Wort wird hier nicht in einem begrenzten oder eingeschränkten Sinn verwendet. Es meint nicht nur den Dienst in der Arbeit des Evangeliums oder in der Verkündung des Wortes. Es umfasst das ganze christliche Leben. Es gibt sowohl den Dienst im Heiligtum, als auch den Dienst auf dem Feld. Einst waren wir gesetzlos, verfolgten unseren eigenen Willen. Jetzt sind wir einem Anderen unterworfen und bemühen uns, den Willen des Herrn in allen Dingen auszuführen. Das ist wahres christliches Leben.

Für dieses Leben gibt es eine grundlegende Vorbedingung. Sie lautet: „So folge er mir nach.“ Nachfolge muss jedem Dienst vorangehen. Wenn wir darüber einen Moment ruhig nachdenken, werden wir sehen, dass dies so sein muss. Wir müssen seine Leitung akzeptieren und unter seiner Führung stehen, wenn wir ihm dienen wollen. Eine Person mag ein absolut versierter Arbeiter in einem Geschäftsbereich sein, aber wenn er immer nur Dinge tut, von denen er selbst überzeugt ist, und nicht den Anweisungen seines Abteilungsleiters folgt, dann wird er andauernd Durcheinander verursachen und ein sehr armer Diener sein.

Wir müssen Nachfolger Christi sein. Er ist der Sohn Gottes und würdig, völlig über uns zu verfügen. Er ist der Verworfene und es ist unser großes Vorrecht, unter Seinem Befehl, Seiner Führung, zu stehen und Ihm nachzufolgen. Dann wird unser ganzes Leben, und nicht nur ein bestimmter Bereich unseres Lebens, durch Dienst für Ihn gekennzeichnet sein.

Lasst uns außerdem das wunderbare Ende sehen, zu dem sein Dienst führt: „Wo ich bin, da wird auch mein Diener sein.“ Wie außergewöhnlich ist diese Vertrautheit zwischen Gebieter und Diener, diese Gemeinschaft an einem Ort. So etwas ist unter Menschen noch nie gesehen worden. Angenommen, dir würde die Ehre zuteil, im Schloss Windsor mit der Königin in ihren privaten Gemächern zu sprechen, in dieser prachtvollen königlichen Residenz. Du wirst hineingeführt und stehst schließlich vor ihr. Wäre es wahrscheinlich, dass du eine Bemerkung über die Abwesenheit ihrer Diener machst? Wärst du versucht, zu sagen: „Aber Eure Majestät, wo sind alle eure Diener? Sicherlich habt ihr einige Hundert an diesem prächtigen Ort.“ Das würdest du wohl kaum sagen. Aber wenn du es tätest, würde Ihre Majestät daraufhin antworten: „Ich habe tatsächlich hunderte treuer Männer und Frauen an diesem Ort, die mir dienen. Aber sie haben ihre eigenen hervorragenden Quartiere. Sie tun, was mir gefällt, aber sie sind nicht bei mir.“

Wir sollen bei unserem Herrn und Meister sein, denn wir sind nicht nur seine Diener, sondern auch seine Freunde. Demjenigen, der Ihm wirklich dient, ist es erlaubt, Seine Gedanken zu teilen, Seine Geheimnisse zu kennen und in der Gegenwart Seiner Person zu sein. Der absolute Höhepunkt unserer Freude und des Segens in Ewigkeit wird sein, dass „wir zusammen mit ihm leben“ (1. Thes 5,10).

Und es gibt noch mehr als das, denn die nächsten Worte lauten: „Wenn jemand mir dient, so wird der Vater ihn ehren.“ Welche Ehrung kann mit dieser verglichen werden?

Wir wollen versuchen, uns diese Szene vorzustellen: Hier steht der verworfene Nazaräer. Für einen Moment scheint es, als sei die Welt Ihm tatsächlich nachgefolgt. Doch Er wusste, dass sich im Verlauf einer Woche alles umkehren würde und die breite Masse nach Seiner Kreuzigung verlangen würde. Werden solche da sein, die sich Seiner Führung anvertrauen und Seine Diener werden? Dann müssen sie eine schlimme Zeit erwarten. Sie werden von dieser Welt keine Ehre empfangen, vielmehr wird große Verachtung ihr Teil sein, wie es auch das Teil ihres Meisters war.

Doch die Welt vergeht - ihre Lüste und ihre Ehre - und auch ihre Verachtung. Der Moment wird kommen, wenn Gott Seine Diener belohnen wird. Der verworfene Nazaräer ist der mächtige Sohn Gottes. Der Glaube befähigt uns, dies zu erkennen und bewegt uns dazu, Ihm zu dienen. Der Vater würdigt den Dienst, der für seinen Sohn getan wird, und ganz besonders den Dienst, der für seinen Namen in den Tagen Seiner Verwerfung getan wurde.

Ungefähr vor 3000 Jahren wurde David Gottes König in Israel und er hatte einige hingebungsvolle Diener. Doch es ist sehr offensichtlich, dass kein Dienst in seinen Augen so wertvoll war, wie der, der ihm von den mutigen Männern erbracht wurde, die ihm bei der Verfolgung durch Saul beistanden. Sie dienten ihm manchmal in sehr kleinen Dingen, aber das war der Dienst, den er so hoch belohnte, als er schließlich das Königtum bekam. Diese hingebungsvollen Nachfolger Davids hassten ihr Leben im Königreich Sauls und verloren es. Aber in Wirklichkeit bewahrten sie ihr Leben bis zu der herrlichen Regierung seines Nachfolgers und wurden in Davids Königreich geehrt.

Das ist jedoch nur das Vorbild. Es weist auf etwas hin, was weit befriedigender und bleibender ist. Der Tag wird kommen, an dem Gott der Vater diejenigen öffentlich ehren wird, die seinem Sohn in den Tagen seiner Verwerfung gedient haben. Wie armselig ist im Vergleich dazu alle Ehre dieser Erde.

Schätzen wir die Ehre, die allein von Gott kommt? Dann lasst uns den Weg wählen, auf dem wir sie erreichen - das Einsmachen mit Christus selbst.

F.B.H.


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