Vergeben - denn Gott vergibt!
"Seid aber zueinander gütig, mitleidig, einander vergebend, wie auch Gott in Christus euch vergeben hat." (Eph 4,32)
Die ten Booms waren eine fromme Familie in Holland. Während des Zweiten Weltkrieges war ihr Haus ein Zufluchtsort für Juden, die versuchten, sich vor den Nazis zu verbergen. Falls man die Juden entdeckte, bedeutete das für sie selbst Konzentrationslager, unaussprechliche Qualen und für gewöhnlich den Tod.
Nachdem die ten Booms über lange Zeit erfolgreich Juden versteckt hatten, wurden sie doch dabei ertappt. Der Vater und zwei Töchter, Corrie und Betsie, wurden ins Lager Ravensbruck verschleppt, ein Ort unbeschreiblicher Grausamkeit und unmenschlicher Qualen. Schließlich starben Herr ten Boom und danach auch Betsie. Corrie überlebte und kam irgendwann frei.
Nachdem Frieden geschlossen war, ging Corrie nach Deutschland und hielt eines Abends im Kellergeschoss eines Kirchengebäudes einen Vortrag. Unter anderem sprach sie über das Wunder, dass, wenn wir unsere Sünden bekennen, der Herr sie in die Tiefen des Meeres wirft und dort ein Schild aufstellt mit der Aufschrift: »Fischen verboten.« Nach dem Vortrag gingen die Menschen still hinaus, aber ein Mann bahnte sich seinen Weg nach vorne, wo Corrie stand. Corrie erkannte ihn. Er war ein Wärter in Ravensbruck gewesen.
Als er Corrie erreichte, streckte er seine Hand aus und sagte: »Eine gute Botschaft, Fräulein. Wie schön ist es zu wissen, dass, wie Sie sagen, alle unsere Sünden am Grund des Meeres liegen.« Die Erinnerung an seine Grausamkeiten stieg in ihr auf und ihr Blut kam in Wallung. »Sie erwähnten Ravensbruck«, fuhr er fort. »Ich war dort einer der Wärter. Aber inzwischen bin ich Christ geworden. Ich weiß, dass Gott mir all die grausamen Dinge, die ich dort getan habe, vergeben hat, aber ich würde es gerne auch von Ihren Lippen hören, Fräulein. Vergeben Sie mir?«
Wäre ihre spontane Reaktion bitter und unversöhnlich gewesen, hätte man dafür sicherlich Verständnis gehabt. Sie hätte sich die Grausamkeiten, die an den Juden verübt worden waren und die unmenschliche Behandlung ihrer eigenen Familie immer wieder ins Gedächtnis rufen können, bis ihr Magensaft zu Schwefelsäure geworden wäre.
Corrie stand wie versteinert da. Stunden schienen zu vergehen, obwohl es nur einige Sekunden waren, bevor sie antworten konnte. Schließlich war sie in der Lage, ihre Hand aus der Manteltasche zu ziehen und sie in die Hand des früheren Wärters zu legen. »Wenn Gott mir vergeben hat, wie könnte ich Ihnen weniger vergeben? Bruder, ich vergebe Ihnen von ganzem Herzen.« Eine lange Weile hielten sie sich bei der Hand, der ehemalige Wärter und die ehemalige Gefangene, jetzt waren sie eins in Christus.
Wenn ich mir ein christusähnliches Verhalten vorstelle, kommt mir unweigerlich die Familie ten Boom in den Sinn. Solch ein Kummer! Solch eine Erniedrigung! Und doch behielten sie in alledem die Gesinnung Christi - sie dachten an andere, nicht an sich selbst. Sie wurden nicht verbittert oder zynisch, noch beschwerten sie sich bei Gott. In allem bezeugten sie die Liebe und Gnade des Herrn Jesus und vergaben denen, die sie durch die Hölle der Nazi-Grausamkeiten jagten.
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