Die Opferung Isaaks (1)

„Nimm deinen Sohn, deinen einzigen, den du lieb hast, den Isaak, und ziehe hin in das Land Morija, und opfere ihn daselbst als Brandopfer auf einem der Berge, den ich dir sagen werde" (1. Mose 22,2)

Es gibt verschiedene Arten von Prüfungen - Prüfungen von der Hand Satans und Prüfungen, die aus den äußeren Umständen entspringen; aber den erhabensten Charakter trägt die Prüfung, welche unmittelbar von Gott kommt, wenn Er sein geliebtes Kind in den Schmelzofen bringt, um die Echtheit seines Glaubens zu prüfen.

Gott muss Wirklichkeit haben. Es genügt nicht, zu sagen: „Herr, Herr!" oder: „Ich gehe, Herr!" Das Herz muss bis auf den Grund erprobt werden, damit sich kein Rest von Heuchelei oder von falschem Bekenntnis darin verberge. Gott sagt: „Gib mir, mein Sohn, dein Herz" (Spr 23, 26); Er sagt nicht: „Gib mir deinen Kopf, deinen Verstand, deine Talente, deine Zunge, dein Geld", sondern „dein Herz"; und um die Aufrichtigkeit unserer Antwort auf dieses gnädige Gebot zu prüfen, legt Er seine Hand auf etwas, was unserem Herzen am nächsten liegt.

Er sagt zu Abraham: „Nimm deinen Sohn, deinen einzigen, den du lieb hast, den Isaak, und ziehe hin in das Land Morija, und opfere ihn daselbst als Brandopfer auf einem der Berge, den ich dir sagen werde" (1. Mo 22,2). Das hieß in der Tat dem Herzen Abrahams sehr nahe kommen und ihn in einen feurigen Schmelztiegel bringen. Gott hat „Lust an der Wahrheit im Inneren" (Ps 51,6). Man kann viel Wahrheit auf den Lippen haben und eine reiche Erkenntnis besitzen; aber Gott sucht nach der Wahrheit im Herzen.

Gewöhnliche Beweise von der Liebe unserer Herzen befriedigen Ihn nicht. Er selbst hat sich nicht damit begnügt, nur einen gewöhnlichen Beweis von seiner Liebe zu geben; Er gab seinen eingeborenen Sohn! Und wir? Sollten wir nicht danach trachten, hervorragende Beweise von unserer Liebe zu Ihm zu geben, der uns also geliebt hat, als wir noch tot waren in Vergehungen und Sünden?

Vergessen wir jedoch nicht, dass Gott uns eine hohe Ehre erweist, wenn Er uns also auf die Probe stellt. Wir lesen nie, dass Lot „von Gott versucht wurde"; nein, aber Lot wurde durch Sodom versucht. Er erreichte nie eine genügende Höhe, um von der Hand Jehovas erprobt zu werden. Es war zu offenbar, dass vieles zwischen seiner Seele und Gott stand, als dass es eines Schmelzofens bedurft hätte, um das ans Licht zu bringen. Sodom enthielt für Abraham nicht die geringste Versuchung; seine Unterredung mit dem König von Sodom in Kapitel 14 (1.Mo 14) liefert den klarsten Beweis davon.

Gott wußte wohl, dass Abraham Ihn weit mehr liebte als Sodom und seine Schätze; aber Er wollte, indem Er seine Hand auf einen Gegenstand legte, der dem Herzen Abrahams am teuersten war, ans Licht stellen, dass sein Diener Ihn über alles liebte. „Nimm deinen Sohn, deinen einzigen, den du lieb hast, den Isaak." Ja, Isaak, den Sohn der Verheißung, Isaak, der Gegenstand der so lange hingehaltenen Hoffnung, der Gegenstand der Liebe des Vaters, und der Eine, in welchem alle Geschlechter der Erde gesegnet werden sollten - dieser Isaak sollte als ein Brandopfer geopfert werden.

Das hieß in der Tat den Glauben auf die Probe stellen, damit er köstlicher als das Gold, welches vergeht, aber durch Feuer erprobt wird, erfunden werde zu Lob und Ehre und Herrlichkeit (1.Pet 1,7). Hätte Abraham sich nicht einfältig und mit ganzer Seele auf den Herrn gestützt, so würde er einem Befehl, der ihn so gründlich auf die Probe stellte, nicht ohne Zögern haben gehorchen können. Aber Gott selbst war die lebendige und bleibende Stütze seines Herzens; und deshalb war er bereit, alles für Ihn aufzugeben.

Die Seele, welche „alle ihre Quellen" (Ps 87,7) in Gott gefunden hat, kann ohne Zögern alle menschlichen Brunnen und Bächlein preisgeben. Wir können dem Geschöpf gerade in dem Maße entsagen, wie wir erfahrungsgemäß mit dem Schöpfer bekannt geworden sind; aber nicht weiter. Die sichtbaren Dinge auf einem anderen Wege, als durch die Kraft des Glaubens, der die unsichtbaren Dinge ergreift, aufgeben zu wollen, ist die fruchtloseste Arbeit, die man sich vorstellen kann. Es ist einfach unmöglich. Die Seele wird ihren Isaak so lange festhalten, bis sie ihr Alles in Gott gefunden hat; aber wenn wir durch den Glauben sagen können: „Gott ist uns Zuflucht und Stärke, eine Hilfe, reichlich gefunden in Drangsalen", so können wir auch hinzuzufügen: „Darum werden wir uns nicht fürchten, wenngleich gewandelt würde die Erde, und wenn die Berge wankten im Herzen des Meeres" (Ps 46,2).

C.H.M.