2021-01-14

Die Opferung Isaaks (4)

Und Abraham gab diesem Ort den Namen: „Der HERR wird ersehen“; daher sagt man heute: Auf dem Berg des HERRN wird ersehen werden." (1. Mose 22,14)

Es ist sehr interessant zu bemerken, wie Abrahams Seele durch die Prüfung seines Glaubens zu einer neuen Erkenntnis des Charakters Gottes geführt wird. Wenn wir fähig sind, die von Gott selbst uns auferlegten Prüfungen zu bestehen, so werden wir unzweifelhaft neue Erfahrungen betreffs seines Charakters machen und dadurch den Wert der Prüfung schätzen lernen. Hätte Abraham nicht seine Hand ausgestreckt, um seinen Sohn zu schlachten, so würde er nimmer die kostbaren Reichtümer jenes Namens kennen gelernt haben, den er hier Gott beilegt: „Jehova-jireh", d. i. Jehova wird ersehen" (1. Mose 22,14).

Nur wenn wir wirklich auf die Probe gestellt werden, entdecken wir was Gott ist. Ohne Prüfung werden wir bloße Theoretiker bleiben; allein Gott will das nicht. Er will, dass wir eindringen in die lebendigen Tiefen, die in Ihm sind, in die göttlichen Wirklichkeiten einer persönlichen Gemeinschaft mit Ihm. Mit welch verschiedenen Gefühlen und Überzeugungen muss Abraham seine Schritte von Morija nach Beerseba zurückgewandt haben! Wie verschieden müssen seine Gedanken gewesen sein bezüglich Gottes, bezüglich Isaaks und bezüglich aller Dinge! Wahrlich, wir können sagen: „Glückselig der Mann, der die Versuchung erduldet!" (Jak 1,12).

Die Prüfung ist eine vom Herrn selbst verliehene Ehre; und nicht hoch genug kann der Segen der darin gesammelten Erfahrungen geschätzt werden. Wenn der Mensch dahin gebracht ist (um die Sprache des 107. Psalms zu gebrauchen) „dass zunichte wird alle seine Weisheit", so macht er die Entdeckung von dem, was Gott ist. Möge Gott uns Gnade geben, die Versuchung zu erdulden, damit sein Werk hervorstrahle und sein Name in uns verherrlicht werde!

Bevor wir die Betrachtung dieses Kapitels schließen, möchte ich die Aufmerksamkeit des Lesers noch auf das gnädige Wohlwollen richten, mit welchem Gott dem Abraham bezeugt, jene Handlung ausgeführt zu haben, zu deren Verrichtung er sich so völlig vorbereitet gezeigt hatte. „Ich schwöre bei mir selbst, spricht Jehova, dass, weil du dieses getan und deinen Sohn, deinen einzigen, mir nicht vorenthalten hast, ich dich reichlich segnen und deinen Samen sehr mehren werde, wie die Sterne des Himmels und wie der Sand, der am Ufer des Meeres ist; und dein Same wird besitzen das Tor seiner Feinde; und in deinem Samen werden sich segnen alle Nationen der Erde: darum dass du meiner Stimme gehorcht hast" (1. Mo 22,16-18).

Diese Worte stehen in lieblichem Einklang mit der Art und Weise, in welcher der Heilige Geist des Werkes Abrahams in Hebräer 11 und in Jakobus 2 gedenkt. In beiden Schriftabschnitten wird Abraham betrachtet, als habe er Isaak, seinen Sohn, wirklich auf dem Altar geopfert. Der wichtige Grundsatz, der in der ganzen Sache uns entgegentritt, ist dieser: Abraham zeigte sich bereit, alles, nur Gott ausgenommen, aufzugeben; und derselbe Grundsatz war es auch, der ihn zu einem gerechten Manne machte und ihn als solchen erwies. Der Glaube kann außer Gott alles und alle entbehren; er hat das volle, tiefe Bewußtsein, dass Gott für alles genügt.

Das Wort und der Eidschwur des lebendigen Gottes sollten all den Regungen und Streitereien des menschlichen Willens ein Ende setzen und inmitten des Treibens und des Tumults dieser stürmischen Welt den sicheren Anker der Seele bilden.

Wir haben uns beständig zu verurteilen wegen der geringen Kraft, welche die Verheißung Gottes für unsere Herzen hat. Die Verheißung ist da, und wir bekennen, dass wir an sie glauben; aber ach! Sie ist für uns nicht jene tiefe, bleibende, unerschütterliche Wirklichkeit, welche sie stets sein sollte, und wir ziehen nicht jenen „kräftigen Trost" aus ihr, welchen mitzuteilen sie zum Zweck hat. Wie wenig sind wir bereit, in der Kraft des Glaubens unseren Isaak zu opfern! Bitten wir den Herrn, dass Er uns in seiner Güte eine tiefere Einsicht in die gesegnete Wirklichkeit eines Glaubenslebens in Ihm schenken möge, um besser die Tragweite des Wortes verstehen zu können: „Dies ist der Sieg, der die Welt überwunden hat: unser Glaube" (1. Joh 5, 4).

 Nur durch den Glauben vermögen wir die Welt zu überwinden. Der Unglaube stellt uns unter die Macht der gegenwärtigen Dinge; er verleiht, mit anderen Worten, der Welt den Sieg über uns, während die Seele, welche vermöge der Unterweisung des Heiligen Geistes gelernt hat, dass Gott vollkommen genug ist, von den Dingen hienieden völlig unabhängig ist. O möchten wir doch, geliebter Leser, zu unserem Frieden, zu unserer Freude in Gott, sowie zu Seiner Verherrlichung in uns reiche Erfahrungen davon machen!

C.H.M.


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