2022-01-28

Klein machen

„Sie aber schwiegen; denn sie hatten auf dem Weg miteinander beredet, wer der Größte sei. Und nachdem er sich gesetzt hatte, rief er die Zwölf; und er spricht zu ihnen: Wenn jemand der Erste sein will, so soll er der Letzte von allen und der Diener aller sein. Und er nahm ein Kind und stellte es in ihre Mitte; und als er es in die Arme genommen hatte, sprach er zu ihnen: Wer irgend eins von solchen Kindern aufnimmt in meinem Namen, nimmt mich auf; und wer irgend mich aufnimmt, nimmt nicht mich auf, sondern den, der mich gesandt hat.“ (Mk 9,34-37)

„Was habt ihr auf dem Weg miteinander besprochen?“, fragt der Herr seine Jünger, nachdem sie in Kapernaum in ein Haus eingekehrt waren. Schweigen. Auf so peinliche Fragen antwortet man auch nicht gern. „Wer ist der Größte unter uns“, war ihr Thema gewesen. Ob sie sich einig geworden sind? Abschließend geklärt hatten sie es jedenfalls nicht, denn bei einer späteren Gelegenheit stritten sie sich erneut darüber (Lk 22,24).

Der Herr wusste, worüber sie gesprochen hatten. Er tadelt sie nicht dafür, obwohl ihre Unterhaltung für ihn schmerzhaft gewesen sein muss. Er hatte mit ihnen Seine Leiden besprochen. Sie verstanden nicht, was Er ihnen sagte und sprachen dann offensichtlich über ihre Sorge. Nämlich wer der Größte unter ihnen sei. So bleibt der Herr selbst unter seinen Jüngern der Einsame und Unverstandene.

Dennoch nimmt sich der Herr in dieser Situation Seiner Jünger an und gibt ihnen Anschauungsunterricht in wahrer Demut. „Wenn jemand der Erste sein will, so soll er der Letzte von allen und der Diener aller sein.“ Um ihnen diese biblische Wahrheit zu veranschaulichen, nimmt Er ein Kind und stellt es in die Mitte. Dann nimmt Er es in die Arme. Gerne lässt das Kind dies mit sich geschehen. Schließlich ist die Person, die ihn in den Arm nimmt, absolut vertrauenserweckend.

Dann erklärt Er seinen Jüngern, was wahre Größe ist, nämlich ein solches Kind in seinem Namen aufzunehmen. Ein Kind aufnehmen? Dann doch lieber eine anerkannte Person! Da hat man mehr von. Ein Kind ist doch recht unbedeutend. Da bekleckert man sich in den Augen der anderen nicht gerade mit Ruhm. Doch der Herr macht sehr deutlich, dass gerade dies der göttliche Weg ist. Sich um die Kleinen und Unbedeutenden zu kümmern ist göttlich! Und mehr noch, er verbindet dies mit einer gewaltigen Aussage. Wer dies tun würde, würde Ihn selbst, den Herrn Jesus Christus, Gottes Sohn aufnehmen. Und mehr noch - er würde den aufnehmen, der Ihn gesandt hatte. Nämlich Gott selbst. Einen höheren Gast kann man wohl kaum haben. Schade, dass wir das oft anders sehen…

Doch der Herr macht noch etwas deutlich. Er veranschaulicht Seinen Jüngern, was es bedeutet, ein Kind aufzunehmen, indem Er es in die Arme nimmt. Achtung! Er nimmt es nicht auf die Arme, sondern in die Arme. Das ist ein bedeutender Unterschied! Jemanden auf den Arm nehmen bedeutet eine kleinere Person auf mein Niveau zu erheben. Großmütig wie wir sind, tun wir das in christlicher Absicht gerne mit Personen, die unbedeutender scheinen als wir, oder? Aber jemand in die Arme zu nehmen, bedeutet sich klein zu machen, sich zu erniedrigen. Sich auf das Niveau des anderen zu begeben und ihm zu zeigen: „Ich stehe nicht über dir.“ Das fällt uns schwer. Wir möchten eigentlich nicht so gerne auf dem Niveau eines Unbedeutenden oder Kleinen stehen. Und doch ist genau das die Haltung, die der Herr von uns wünscht und die Er uns in seinem Leben andauernd vorgelebt hat. Er war nicht gekommen, um bedient zu werden, sondern um zu dienen und sein Leben als Lösegeld für viele zu geben (Mk 10,45).

Dabei sollten wir noch etwas unbedingt bedenken. Wir sollen nicht höher von uns denken, als zu denken sich gebührt (Röm 12,3)! Dann mag mir von vornherein klar sein, dass ich mich gar nicht klein machen muss, weil ich nämlich selbst klein bin. Wer bin ich denn schon?!

Für das Kind war die Begegnung mit Jesus Christus jedenfalls eine bemerkenswerte Begegnung. Da ist einer, der Interesse an mir hat, der mich nicht übersieht. Der sogar vor mir auf die Knie geht, um mich in die Arme zu nehmen. Diese Begegnung hat das Kind ohne Zweifel niemals vergessen.

Wie schön, wenn wir wahre Größe zeigen würden, indem wir uns zu Dienern der „Kleinen“ machen würden, statt darüber nachzudenken, wie wir vor Menschen groß sein können!

A.S.


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