Lesen und Nachsinnen (Teil 1)
„Halte an mit dem Vorlesen, mit dem Ermahnen, mit dem Lehren. … Bedenke dieses sorgfältig“ (1. Timotheus 4,13-15).
Das Bedenken oder Nachsinnen ist für die Predigt was die Egge für die Saat ist - es bedeckt jene Wahrheiten, die sonst aufgepickt oder weggeschwemmt werden.
Ein zugeneigter Hörer wird nie ein vergesslicher Hörer sein. Liebe hilft dem Gedächtnis. Würde eine Frau ihr Kind vergessen, ein Mädchen seinen Schmuck, eine Braut ihr Brautkleid? Nein, sie lieben sie zu sehr.
Wären dir die Wahrheiten Gottes so kostbar, dann würdest du wie David über sie sinnen Tag und Nacht. Selbst wenn der Christ sich wegen der Schwäche des Gedächtnisses nicht mehr so an die genauen Worte erinnern kann, die er hört, dass er sie wiederholen könnte, behält er doch deren Kraft und Geschmack in seinem Geist, wie Zucker, der, wenn er sich im Wein aufgelöst hat, nicht mehr zu sehen, aber wohl zu schmecken ist.
Wenn Fleisch gegessen und verdaut ist, ist es nicht mehr wie vorher, doch der Mensch ist dadurch gelabt und gestärkt und geht frischer ans Werk, wodurch du erkennst, dass es nicht verloren ist. So nimmst du die Wahrheiten, die ein Christ gehört hat, in seinem Geist wahr und du siehst sie in seinem Leben.
Solange das Herz nicht berührt ist, wird der Sinn nicht ausgerichtet sein. Deshalb lesen wir, dass Gott das Herz der Lydia auftat, „dass sie Acht gab“ (Apostelgeschichte 16,14). Der Sinn ist der Bote des Willens; wir richten unsere Gedanken auf das, was das Herz vorgibt.
Wenn das Herz kein Empfinden für die eigene Unwissenheit hat oder kein Verlangen nach Gott, dann verwundert es nicht, dass so jemand nicht zuhört, was der Prediger sagt; sein Herz schickt seinen Sinn auf andere Wege. „Sie … sitzen vor dir als mein Volk“, sagt Gott, „und hören deine Worte, aber … ihr Herz geht ihrem Gewinn nach“ (Hesekiel 33,31).
Du sagst vielleicht: Wenn ich soviel Zeit hätte wie andere, wäre ich nicht so wenig vertraut mit dem Wort Gottes. Gott hat Herz und Zeit, diesen Liebesbrief zu schreiben und dir zu übersenden, und du solltest keine Zeit haben, ihn zu lesen und zu studieren?
Sollte der Kranke keine Zeit haben, das Rezept des Arztes zu lesen? Sollte der verurteilte Übeltäter keine Zeit haben, den Begnadigungsbrief seines Fürsten zu lesen? Muss die Welt deine ganze Zeit haben und dich lebendig verschlucken? …
Wer hat dir erlaubt, dich so mit der Last dieser Welt zu beladen? Ist Gott nicht der Herr über deine Zeit? „Warum hast du mein Wort nicht gelesen und darüber nachgedacht?“, wird Christus an jenem Tag fragen. Wirst du dann noch wagen, frech zu antworten: „Herr, ich war zu beladen mit den Sorgen der Welt und zu trunken von der Liebe zur Welt, und deshalb konnte ich nicht“?
Wenn das der Dieb ist, der dir deine Zeit stiehlt, dann befreie dich aus seiner Hand, bevor er deine Seele stiehlt.
Wessen Auftrag ist auslastender als der eines Soldaten, oder sogar eines Generals? Josua war so einer, und doch hatte er den strikten Befehl, die Schriften zu studieren: „Dieses Buch des Gesetzes soll nicht von deinem Mund weichen, und du sollst darüber sinnen Tag und Nacht“ (Josua 1,8).
Josua musste inmitten von Pauken und Trompeten und den Ablenkungen des Krieges Zeit finden, über das Gesetz Gottes nachzusinnen, und du solltest wegen der wenigen Belanglosigkeiten deines Berufes von dieser Pflicht enthoben sein?
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