2018-05-27

Ein geebneter Weg

Der Weg dem Lamme nach ist vor allem ein geebneter Weg. Es ist ein Weg, den sein heiliger Fuß einst selbst betrat. Wenn er auch nicht eben scheint, so ist er doch von ihm geeb­net und gebahnt, und das ist uns genug. Er ist auch kein fremder Weg; denn wir finden überall seine Fußstapfen. In unseren Schwierigkeiten in der Familie, in der Welt, in Armut, in Niedrigkeit - überall finden wir seine Fußtritte. Er ist mit allen unseren Wegen vertraut (Ps. 139). „Denn worin er selbst gelitten hat, als er versucht wurde, vermag er denen zu helfen, die versucht werden“ (Heb 2,18).

Auf diesem Wege klagt man nicht mehr: Ich werde nicht verstanden! Ich werde falsch beurteilt! Er, unser Hoherpriester, versteht uns, und das ist uns genug. Das Schaf begehrt von niemand anderem erkannt und verstanden zu werden als von seinem Hirten; ihm ist es genug, wenn es seinen Fußtritt sieht und das Rauschen seines Gewandes hört. Wenn wir dem Lamme zu folgen begehren, steht uns nichts mehr im Wege. Was wir bedürfen, um hinaufzuziehen nach Jerusalem (Mat 21,1-3), d. h. was wir bedürfen, um den Sterbensweg zu gehen, lässt uns jedermann gern.

Wenn wir begehren, dem Lamme nachzufolgen, werden überall unsere Pfade ebene Pfade sein; denn zu sterben dem eigenen Wesen, hat man auf jedem Weg und jedem Plätzlein Gelegenheit genug. Dann geht es einem immer gut. Man findet, was man sucht, und das ist ja das Glück. Wer dem Lamme folgt, hat den eigenen Willen, die eigenen Wege ein für allemal aufgegeben. Er hat keine eigenen Ziele und Interessen mehr; alle seine Sterne sind untergegangen in seinem Lichte. Er erlaubt es seinem Hirten, ihm seine eigenen Wünsche und Wege zu durchkreuzen. Er merkt und versteht es, dass auf diesem Wege für das eigene Leben kein Raum ist, und wer bei sich das eigene Leben verurteilt und weggeworfen hat, der kann es bei anderen mit Geduld ertragen.

Auf diesem Wege stößt man sich auch nicht mehr an anderen. Warum nicht ? Man hat den vor Augen, der getragen hat, ohne sich zu stoßen. Solange wir uns stoßen, sind wir nicht auf seiner Spur, sind wir nicht Kinder des Tages, sondern Kinder der Nacht (Joh 11,9.10). Sagen: Der oder jener steht mir im Wege, ist ebenso lächerlich, als wenn man sagen würde: Der oder jener steht mir in der Sonne. Von den Kennzeichen eines Christen hat jemand gesagt: „Ein Christ fühlt sich nie unverstanden. Gegen einen Christen ist nichts versäumt worden. Ein Christ weiß, dass er täglich gegen andere vieles versäumt.“ Wer dem Lamme folgt, kann nicht erwarten, von allen verstanden zu werden. Es gibt Wege, die muss das Kind Gottes mit seinem Gott allein gehen. Als Abraham mit seinem Sohne auf den Berg Morija ging, um ihn dem Herrn zu opfern, ging er allein; sein Weib ließ er zu Hause und seine Knaben unten am Berge. Weder sein Weib noch seine Knaben hätten seinen Weg verstanden; darum sagte er es ihnen nicht, dass er hingehe, zu opfern, sondern dass er hingehe, anzubeten! „Anbeten“ sagt er anstatt „opfern“! Wie sagen wir?

Gestehen wir es uns: Wir haben keinen Sinn mehr für den Lammesweg! Wir sind den Kindern gleich, die beim Einzug Jesu in Jerusalem riefen: Hosianna! Hosianna! und nicht wussten, dass der König zum anderen Tor der Stadt hinaus musste, um dort am Kreuz zu sterben, und dass er uns zu sich hinausruft, um seine Schmach zu tragen (Heb 13,13).

Die ersten Christen hatten für diesen Weg viel mehr Verständnis, weil sie viele solcher sahen, die diesen Weg gingen, die den Raub ihrer Güter mit Freuden erduldeten, die in Höhlen und Klüften wohnten, die nicht nur Hab und Gut, sondern auch ihr Leben nicht teuer achteten. Sie wollten nicht höher stehen als das Lamm. Sie waren mit seiner Gestalt und mit seinem Wege ausgesöhnt. Was die wahre Rebe kennzeichnet, ist vor allem die Einheit mit dem Weinstock. Schneide in den Weinstock, schneide in die Rebe, und überall fließt der gleiche Saft heraus.

 

G.St.


Artikelreihe: Der Weg dem Lamme nach

Das Lamm lehrt dich lieben


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