Das Lamm lehrt dich demütig sein
„Ich bin von Herzen demütig“, sagt er - „lernet von mir!“ „Wir haben unseren Hochmut von einem anderen; wir müssen auch unsere Demut von einem anderen haben“, hat jemand gesagt. Nichts ist uns von Natur fremder und unverständlicher als Demut. Nichts besitzen wir von Natur weniger als Demut, und wir haben alle nötig, den Gebetsvers von Zeller immer wieder zu wiederholen:
Von dir lernen möchten wir
Deiner Sanftmut Milde,
Möchten ähnlich werden dir,
Deinem Demutsbilde,
Deiner stillen Tätigkeit,
Deiner armen Niedrigkeit,
Deines Wohltuns Milde.
Der sicherste Beweis, dass wir Demut besitzen, ist der, wenn wir den Demütigungen nicht mehr aus dem Weg gehen, wenn wir danken können für Demütigungen, wenn wir Gefallen haben an Demütigungen. Denn das Wort Pauli: „Ich rühme mich am liebsten meiner Schwachheit“, heißt auch: Ich finde Gefallen an allem, was mich demütigt. Diesen Standpunkt habe ich noch nicht erreicht. Noch wie gegenwärtig ist mir der Augenblick, wo ich vor noch nicht langer Zeit zum erstenmal dankte für Demütigungen von Seiten der Menschen. Sonst nahm ich sie bloß an und erduldete sie, weil es nun einmal nicht anders war. Paulus aber hatte Gefallen an allem, was ihn demütigte. Und Petrus sagt uns: „Gott gibt dem Demütigen Gnade.“ Sooft wir nun einer Demütigung aus dem Wege gehen, gehen wir einer Gnade aus dem Wege. Und um wie viele Gnaden haben wir uns da gebracht! Weiter sagt Petrus: „Hüllet euch fest in die Demut!“ Demut ist der Mantel, der uns gegen Erkältung schützt.
Was ist Demut? Demut ist nicht eine Tugend, sondern der Boden, auf dem alle anderen Tugenden gedeihen. Keine Tugend hat Bestand, die nicht auf diesem Boden gewachsen ist. Darum sagt Jesus zu den zu ihm Gekommenen, dass sie vor allem eins von ihm lernen sollen: seine Demut. Demut ist die Kraft, die allen dienen kann (Joh 13). Demut ist die Kraft, die sich selbst vernichten kann. „Er machte sich selbst zu nichts“, lesen wir von ihm in Philipper 2.
Die Demut führt uns in die Selbstvernichtung, bis wir nichts mehr sind und Gott alles ist. Demut ist die Kraft, die nicht Ehre für sich sucht noch annimmt, wo ihr solche angeboten wird. Sie weist die Ehre von sich ab wie jener berühmte englische Missionar, der nach der Lobrede, die der Bischof auf ihn hielt, vor seiner großen Gemeinde weiter nichts sagte als das Verslein:
Schau her, hier steh‘ ich Armer,
Der Zorn verdienet hat;
Gib mir, o mein Erbarmer,
Den Anblick deiner Gnad‘!
Demut ist die Kraft, die ihr Tun eher verkleinert als vergrößert, damit sie nicht Aufsehen erregt und Stimmung macht für sich. Warum hat wohl Jesus bei der Auferweckung des Mägdleins des Jairus gesagt: „Sie ist nicht tot, sondern sie schläft“? Er wollte seine Tat nicht vergrößern; er wollte kein Aufsehen erregen. Wir machen die Sache in der Regel erst recht schwarz, damit sie dann um so weißer erscheine, recht klein, damit sie dann recht groß dastehe.
Demut weiß von sich selbst nichts; sie weiß auch nicht, dass sie demütig ist. Demut ist die Kraft, die selbst nichts kann, die sich unterordnen kann, die abhängig sein kann. „Ich kann nichts von mir selber“, sagt Jesus zu wiederholten Malen. „Der Vater ist größer denn alles“, sagt er in Johannes 10. Und in Offenbarung 1,1 zeigt er seine Abhängigkeit vom Vater, auch nachdem er erhöht ist zur Rechten der Majestät Gottes und ihm gegeben ist alle Gewalt im Himmel und auf Erden, in den Worten: „Dies ist die Offenbarung Jesu Christi, die ihm Gott gegeben hat.“
Die größte Demut sehen wir bei dem dreieinigen Gott selbst. Der Vater und der Sohn bahnten das „Reich des Geistes“ an, in dem wir heute leben; der Geist und die Braut sprechen: „Komm, Herr Jesus, komme bald!“ Sie bahnen das Reich des Sohnes, das „Tausendjährige Reich“ an. Und wiederum, der Sohn und der Geist und die Braut führen das „Reich des Vaters“ herbei, wo Gott sein wird alles und in allem, wo er Vater sein wird über alles, was als Kinder im Himmel und auf Erden nach ihm benannt wird (Eph 3,15).
Darum können wir nur von Christus, dem geoffenbarten Gott, lernen, was Demut ist. Und „demütig werden“ können wir nur durch den innewohnenden Christus, durch den wir in der Liebe eingewurzelt und gegründet werden, und diese eingewurzelte und gegründete Liebe ist eben die Demut. Darum heißt es von Jesus: „Wie er hatte geliebt die Seinen, die in der Welt waren, so liebte er sie bis ans Ende.“ Demut ist die Kraft, welche diejenigen, die weit unter ihr stehen, als Brüder behandeln kann. Er schämte sich nicht, seine Jünger, die in der schweren Stunde von ihm flohen, ja ihn sogar verleugneten, wie Petrus, Brüder zu nennen. Demut ist die Kraft, die andere tragen kann. Weil sie selbst sich für das Allergeringste hält, verzagt sie nicht an anderen. Darum ist Demut die Schönheit des Lammes Gottes.
O suche du keine andere! Demut ist die Kraft, die demjenigen, der an ihr gefehlt hat, eine besondere Freundlichkeit erweisen kann, wie der Auferstandene dem Petrus: „Gehe hin und sage es meinen Brüdern und Petrus, dass ich lebe.“ Man demütigt nicht dadurch die Leute, dass man sich von ihnen zurückzieht, sondern dass man sie liebt und ihnen nachgeht, wie Jesus dem Petrus (Joh 21), und ihnen so einen Weg macht, auf dem sie sich selbst demütigen können.
Artikelreihe: Der Weg dem Lamme nach
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